Das Parsifal-Mosaik
ihre großen Augen waren immer noch von Angst und Haß erfüllt. Er hielt sich die Gabel an die Kehle und flüsterte: »Du weißt, was du zu tun hast.« Er sagte es langsam und deutlich. »Wenn du die Luftröhre durchstößt, gibt es hier keine Rettung mehr für mich ... wohl aber für dich. Tu so, als würdest du ihnen gehorchen; sei passiv, aber paß auf den Posten auf - du weißt ja, daß er ein geiler Bock ist. Je eher du dich kooperativ zeigst, um so schneller werden sie für dich Arbeit draußen finden. Denk daran, du willst nur deine Papiere; sie bedeuten alles für dich. Wenn sie dich hinauslassen, mußt du irgendwie an ein Telefon herankommen und die Broussac in Paris anrufen. Sie wird dir helfen, weil sie die Wahrheit kennt.« Er hielt inne und nahm die Hand weg. »Jetzt tu es. Entweder du tötest mich, oder du glaubst mir.«
Ihr Blick blieb starr. Michael konnte ihn kaum ertragen, ebensowenig wie ihr Schweigen. Nach einer Weile begannen ihre Lippen zu zittern, und dann geschah es langsam. Furcht und Verwirrung blieben in ihren Augen - aber der Haß schwand. Tränen traten lautlos in ihre Augen.
Jenna ließ die Hand sinken, er hob sie auf und hielt sie fest. Die Gabel fiel aus ihrer Faust, als das tiefe, schreckliche Schluchzen begann. Er hielt sie fest. Das war alles, was er tun konnte, tun wollte.
Das Schluchzen ließ nach, und die Minuten verstrichen in Schweigen. Nur ihr Atem war zu hören, nur die Kraft zu verspüren, mit der sie einander umklammert hielten. Schließlich flüsterte er. »Wir kommen hier raus, aber es wird nicht einfach sein. Hast du Kohoutek kennengelernt?« »Ja, ein schrecklicher Mann.«
»Er kommt mit uns, angeblich um die letzte Rate für dich zu kassieren.«
»Aber die gibt es nicht«, sagte Jenna. Ihre Augen sogen ihn auf, hüllten ihn ein. »Laß mich dich anschauen, nur anschauen.« »Dafür ist keine Zeit ... «
»Pst.« Sie legte die Finger auf seine Lippen. »Dafür muß Zeit sein.« »Ich dachte das gleiche, als ich auf dich herabblickte.« Er lächelte, streichelte ihr Haar und liebkoste ihr Gesicht. »Du hast deine Rolle gut gespielt, prekrasne.« »Ich hab' dir weh getan.«
»Ein kleiner Schnitt und ein paar Kratzer. Mach dir keine Sorgen.« »Du blutest ... dein Hals.«
»Und mein Rücken ... du kannst mich später pflegen, dann werd' ich dir dankbar sein. Aber im Augenblick paßt das zu dem Bild, daß die von dir haben. Ich schaffe dich angeblich mit der Aeroflot zurück.«
»Soll ich mich weiter wehren?«
»Nein, es genügt, wenn du feindselig bleibst. Du hast resigniert, du weißt, daß du nicht gewinnen kannst. Wenn du dich wehrst, wird es nur noch schlimmer für dich.« »Und Kohoutek?«
»Er sagt, du sollst während der Fahrt neben ihm auf dem Rücksitz sitzen. Er wird uns beide mit Pistolen in Schach halten.« »Dann werde ich die ganze Zeit rauchen. Irgendwann wird ihm die Hand heruntersinken.«
»Es ist eine lange Fahrt, da kann eine Menge passieren. Eine Tankstelle, eine Panne.« Havelock hielt ihre Schultern fest. »Vielleicht kommt er auf die Idee, dir ein Betäubungsmittel zu geben; wenn er das tut, versuche ich ihn daran zu hindern.«
»Er wird mir nichts Gefährliches geben; er will sein Geld. Ich mache mir keine Sorgen. Ich weiß, daß du dabei bist, und ich weiß, wozu du imstande bist.«
»Komm!«
»Mikhail« - sie griff nach seinen Händen -, »was ist geschehen? Mir ... dir? Die haben so schreckliche Dinge gesagt, so furchtbare Dinge! Ich konnte es nicht glauben, aber ich mußte es glauben. Es war da!«
»Alles war da. Ich hab' sogar zugesehen, wie man dich erschossen hat.«
»O Gott ...«
»Seitdem war ich dauernd auf der Flucht, bis zu jener Nacht in Rom. Dann fing ich an, in die entgegengesetzte Richtung zu laufen. Hinter dir her, hinter den Lügnern her, die uns das angetan haben.«
»Wie haben sie das angestellt?«
»Dafür ist jetzt keine Zeit. Ich werde dir alles, was ich weiß, später erzählen, und dann will ich hören, was du zu sagen hast. Alles.« Sie standen auf und umarmten sich, sie spürten die Wärme und die Hoffnung, die jeder dem anderen gab. Michael zog ein Taschentuch aus der Brusttasche und hielt es sich an den Hals. Jenna nahm seine Hand weg und betupfte die tiefen Kratzwunden. »Denk daran, Geliebter«, flüsterte sie, »du mußt grob zu mir sein, mich stoßen, mich schieben und mich dabei fest am Arm packen. Ein Mann, den eine Frau gekratzt hat, ob sie nun sein Feind ist oder nicht, ist ein zorniger Mann.
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