Das Parsifal-Mosaik
Leuten, die sich als Kronzeugen zur Verfügung stellen, sind die viel großzügiger. Denken Sie darüber nach.« Havelock knallte die Tür zu und ging schnell zu Jenna zurück. »Der Wagen steht ungefähr fünfhundert Meter weiter unten. Ist bei dir alles in Ordnung?«
Sie sah ihn an. An ihrem blonden Haar, das der Wind zerzaust hatte, hingen ein paar Schneeflocken, ihr Gesicht war naß, aber ihre Augen glänzten. »Ja, darling, ich bin okay ... Egal, wo wir in diesem Augenblick auch sein mögen, ich fühl' mich zu Hause.« Er griff nach ihrer Hand. »Geh in der Mitte. Dann deckt der Schnee unsere Spuren zu.«
Sie saß dicht neben ihm, die Hand auf seinem Schenkel, und gelegentlich ließ sie ihren Kopf auf seiner Schulter ruhen.
Sie sprachen nur wenig, die Stille tat ihnen gut; sie waren zu erschöpft, zu besorgt, um sich richtig zu unterhalten, wenigstens für den Augenblick. Das war nicht das erste Mal, daß sie eine solche Stimmung erlebten, sie wußten, ein wenig Frieden würde mit der Stille kommen ... und dadurch, daß sie zusammen waren. Havelock erinnerte sich an Kohouteks Worte und steuerte den Wagen in nördlicher Richtung auf den Pennsylvania Turnpike zu, dann nach Osten, in Richt ung Harrisburg. Der Wind fegte den Highway fast völlig frei, und die eisige Temperatur sorgte dafür, daß der Schnee trocken blieb und damit leicht. Obwohl die Sicht schlecht war, kamen sie schnell voran. »Ist das die Hauptstraße?« fragte Jenna. »Ja, die Staatsstraße.«
»Ist es klug, sie zu benutzen? Wenn man Kohoutek vor Tagesanbruch findet, könnte es dann nicht sein, daß man diesen ... Turnpike kontrolliert?«
»Er wird bestimmt nicht wollen, daß die Polizei uns findet. Wir wissen, was diese Farm ist. Er wird sie hinhalten, behaupten, wir seien Einbrecher gewesen und er die Geisel, das Opfer. Und der Wachmann wird überhaupt nichts sagen, bis er keine andere Wahl mehr hat, und dann wird er versuchen, einen Handel mit ihnen abzuschließen. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen.« »Das gilt für die Polizei, darling«, sagte Jenna, und ihre Hand berührte sachte seinen Arm. »Und wenn es nicht die Polizei ist? Du willst, daß es die Polizei ist, also redest du dir das ein. Aber angenommen, ihn findet ein Farmer oder ein Milchfahrer. Ich glaube, Kohoutek würde es sich viel Geld kosten lassen, wenn ihn jemand sicher zu seinem Haus zurückbringt.«
Michael sah sie im schwachen Licht der Armaturenbeleuchtung an. Ihre Augen waren müde, dunkle Kreise unter der bleichen Haut. Und doch dachte sie bei aller Erschöpfung, bei aller Angst klarer als er. Das rührte daher, daß man sie öfter gejagt hatte als ihn. Sie würde nie in Panik geraten; sie wußte, wie wichtig es war, sich unter Kontrolle zu halten, selbst wenn die Angst und der Schmerz überwältigend waren. Er beugte sich zu ihr hinüber und strich mit den Lippen über ihre Wangen. »Du bist großartig«, sagte er. »Ich habe Angst«, erwiderte sie.
»Und trotzdem hast du recht. Die Chancen, daß die Polizei Kohoutek zuerst findet, stehen vielleicht siebzig zu dreißig. Wir werden die nächste Ausfahrt nehmen.« »Wohin? Wohin fahren wir?«
»Zuerst einmal an einen Platz, wo wir alleine sind, wo wir uns ausruhen können.«
Sie saß in einem Sessel am Fenster ihres Motelzimmers. Draußen erhellten die ersten Strahlen der Morgensonne die Silhouette der Allegheny-Berge. Die gelben Strahlen erleuchteten ihr müdes Gesicht, hoben ihr langes blondes Haar hervor, das ihr bis auf die Schultern fiel. Immer wieder sah sie zu ihm hinüber und wandte dann wieder das Gesicht ab und schloß die Augen, weil die Worte zu weh taten. Er hatte geendet; er hatte ihr alles gesagt, und mit dem Eingeständnis kam auch wieder der Schatten der Vergangenheit zurück: Er war ihr Henker gewesen, hatte sie töten wollen, als seine Liebe zu ihr erloschen war.
Jenna erhob sich und blieb schweigend am Fenster stehen. »Was haben sie uns nur angetan!« flüsterte sie.
Havelock stand auf der anderen Seite des Zimmers und sah sie an; er konnte den Blick nicht abwenden, und als er die Tränen in ihren Augen sah, kamen die quälenden Bilder zurück, die Bilder eines bösen Traums, der ihn nicht mehr losließ. Immer wenn die Erinnerungen nicht mehr ruhen wollten, erwachte der Traum zum Leben. »Wir müssen herausfinden, warum«, sagte Michael. »Die Broussac hat mir erzählt, was dir passiert ist, aber da waren Lücken in ihrer Schilderung.«
»Ich habe ihr nicht alles gesagt«, erklärte
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