Das Parsifal-Mosaik
scharfkantige Steine stießen; er hatte die Felsen erreicht. Er hielt sich am Netz fest, von der Brandung auf und ab geworfen, wartete, schnappte nach Luft. Die Scheinwerferstrahlen zogen sich jetzt hinter die Fichten zurück; die Sicherheitsprüfung in Sektor vier war ergebnislos verlaufen. Als der letzte Lichtstrahl zwischen den Stämmen verschwand, arbeitete er sich Zentimeter für Zentimeter zum Ufer vor, hielt sich mit aller Kraft an dem verdrahteten Netz fest, als die Wellen über ihm zusammenbrachen. Er mußte sich von den Felsen fernhalten! Gezackt und scharfkantig ragten sie über ihm auf, in Jahrtausenden hatte die Brandung die Steinspitzen messerscharf geschliffen. Eine einzige kräftige Welle, und er würde aufgespießt werden. Er richtete sich auf und versuchte sich an dem Netz festzuklammern ... als es plötzlich verschwunden war. Verschwunden! Er konnte den Sand unter sich spüren; er war an Land! Er kroch aus dem Wasser, stützte sich auf die Arme, die seinen Oberkörper fast nicht mehr zu tragen vermochten. In den Beinen hatte er kein Gefühl mehr. Jetzt gab der Mond eines seiner kurzen Gastspiele und beleuchtete eine mit wildem Gras bewachsene Düne zwanzig Meter vor ihm; er schleppte sich weiter, bis er schließlich die Düne erreicht hatte. Er kroch auf dem trockenen Sand nach oben, wälzte sich auf den Rücken, starrte zum finsteren Himmel empor.
Fast eine halbe Stunde blieb er bewegungslos liegen, bis er spürte, daß das Blut wieder durch seine Arme zirkulierte, die Erschöpfung nachließ. Vor fünf Jahren noch, überlegte er, hätte er allerhöchstens fünfzehn Minuten gebraucht, um sich von den Strapazen zu erholen. Nun wären ihm am liebsten ein paar Stunden Schlaf. Er hob die Hand und sah auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr. Es war 22.43 Uhr. In siebzehn Minuten würde Jenna zum erstenmal die Notzentrale von Cons Op anrufen. Er hatte vor jenem Anruf eine Stunde Zeit auf der Insel haben wollen, nun war er 43 Minuten hinter seinem Zeitplan.
Er stand auf, beugte und streckte seine Beine, schüttelte die Arme, drehte den Oberkörper nach links und rechts. Die Unbequemlichkeit seiner wasserdurchtränkten Kleidung bemerkte er kaum und auch nicht das Kratzen des Sandes auf seiner Haut, Sand, der scheinbar überall hingedrungen war. Entscheidend war nur, daß sein Körper funktionierte, daß er sich bewegen konnte - schnell, wenn es sein mußte -, und sein Bewußtsein war klar. Er überprüfte seine Ausrüstung. Die wasserdichte Taschenlampe hing an einem Gurt, den er sich um die Hüften geschlungen hatte, neben der Tasche aus Öltuch, beide an seiner Linken, das Jagdmesser in der Scheide an der rechten Hüfte. Er hakte die Tasche aus, öffnete den wasserdichten Reißverschluß und befühlte ihren Inhalt. Die dreizehn zusammengefalteten Blätter waren trocken, ebenso die kleine spanische Pistole. Er holte die Waffe heraus, schob sie sich in den Gürtel und befestigte die Tasche wieder an ihrem Haken. Dann überprüfte er seine Hosentaschen; die Lederschnürsenkel waren naß, jeder einzelne zu einem Knäuel zusammengerollt, fünf in der rechten Tasche, fünf in der linken. Er war bereit. Schritte ... waren das Schritte? Wenn ja, so paßte das Geräusch nicht zu dem Sand und der weichen Erde, die unter den Fichten liegen mußte. Es war ein langsames, rhythmisches Klappern, als würden lederne Absätze auf eine harte Oberfläche treten. Havelock duckte sich und rannte zu den hohen Bäumen, die ihm Deckung boten, spähte nach rechts in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Jetzt war auch zu seiner Linken das rhythmische Klappern zu hören, weit entfernt, aber näher kommend. Er kroch noch tiefer in den Schutz der Bäume hinein, bis er nur noch ein paar Schritte vom Rand entfernt war. Dort preßte er sich gegen den Boden und hob gleich den Kopf, um das Licht, das plötzlich das Gelände vor ihm erhellte, auszunutzen. Was er sah, klärte das Geräusch der Schritte auf, die er gehört hatte, aber sonst nichts. Direkt vor ihm war eine breite Betonstraße und dahinter ein Palisadenzaun, der wenigstens zweieinhalb Meter hoch war und nach beiden Richtungen sich erstreckte, so weit das Auge blicken konnte. Das Licht strahlte hinter dem Zaun. Das war das Leuchten, das er vom Wasser aus gesehen hatte. Da tauchte der erste Soldat rechts von ihm auf; er ging langsam wie auf dem Exerzierplatz, und jeder Schritt hallte auf dem Beton. Der Mann vollführte eine scheinbar nutzlose Aufgabe. Ebenso wie die
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