Das Parsifal-Mosaik
übriggebliebenen Schnürsenkel fest. Er zerrte den Bewußtlosen ins Gebüsch und ging auf das Haus zu. Die »Wassermusik« schwoll an, ging in das Marschthema über, Hörner und Saiteninstrumente mischten sich ineinander, hallten durch das groteske Haus. Havelock stieg den kurzen Abhang hinauf, der an die Eingangsstufen grenzte, bis er nur noch drei Meter von dem ersten Fenster mit den Spitzenvorhängen dahinter entfernt war. Er duckte sich und kroch darauf zu, den Kopf unter dem Sims. Er trat zur Seite, richtete sich auf und schob das Gesicht Zentimeter für Zentimeter ans Fenster. Der Raum war genauso eingerichtet, wie er es in Erinnerung hatte ... die abgetretenen Orientteppiche, die schweren, bequemen Armsessel, die Messinglampen ... das war Matthias' Vorzimmer, sein »Salon«, wie er es nannte, in dem er Besucher begrüßte. Michael hatte viele angenehme Stunden in jenem Raum verbracht und doch in einem anderen.
Michael schlich um das Haus nach hinten, auf eine Wand zu, die er sich ganz genau in Gedanken ausmalen konnte, auch den Garten dahinter ... Hunderte von Meilen entfernt. Er mußte an drei Fenstern vorbei. Das zweite Fenster verriet ihm, was er wissen mußte. Drinnen saß ein untersetzter Mann auf einer Couch und rauchte eine Zigarette, die Füße auf einem niedrigen Tischchen, den Blick auf einen Fernseher gerichtet. Das Gerät war laut gestellt, offenbar um die Stereoklänge der Musik zu übertönen.
Havelock rannte auf die Mauer zu. Er beugte die Knie, sprang hoch und griff mit beiden Händen nach der Mauerkrone. Seine Brust schmerzte, während er sich hochzog und sein rechtes Bein über den Mauersims schwang. Er holte Atem, wartete, bis der Schmerz nachließ.
Unter ihm war der gespenstisch beleuchtete Garten, so wie er ihn in Erinnerung hatte. Weiches Licht drang aus dem Haus. Eine einzelne Lampe auf dem Schachtisch zwischen zwei braunen Korbsesseln, weitere Korbmöbel in Weiß und ein Plattenweg, der um die Blumenbeete herumführte.
Da war er, sein geliebter pfitel. Er saß in einem Sessel am Ende des Gartens, die Augen geschlossen, und sah Bilder, die die Musik in seinem Geist hervorzauberte. Die unvermeidliche Schildpattbrille saß auf seiner Nase, und das silberne Haar wellte sich über seinem kantigen Schädel.
Havelock schwang lautlos die Beine über die Mauerkrone und ließ sich zu Boden fallen. Er blieb ein paar Augenblicke im Schatten. Die Musik war leiser geworden, man konnte jetzt deutlich den Lärm aus dem Fernseher hören. Der Posten würde drinnen bleiben, das hieß, er würde so lange drinnen bleiben, solange Michael es wollte. Und wenn er dann den bezahlten Revolvermann in seiner Gewalt hätte, würde er ihn entweder benutzen oder ihn töten. Langsam löste Havelock sich von der Mauer und ging den Gartenweg hinunter, auf Matthias zu.
Ohne Warnung oder irgendein Zeichen schlug der Staatsmann plötzlich die Augen auf. Michael rannte vor, hob beide Hände, um auszudrücken, daß er schweigen solle.
Matthias ignorierte die Geste und erhob seine tiefe Stimme. »To je dobresrovnani, Mikhail. Schön, daß du vorbeikommst. Ich habe neulich an dich gedacht, an diese Arbeit, die du vor einigen Wochen geschrieben hast. Wie hieß sie doch? >Die Auswirkungen des Hegelschen Revisionismus< oder ein ähnlich unbescheidener, unpassender Titel. Schließlich, mein darcbak akademik, ist Hegel selbst sein bester Revisionist, nicht wahr? Der Revisionist maximus. Wie gefällt dir das?«
»Anton ...?«
Wieder ganz plötzlich und ohne eine Andeutung stand Matthias von seinem Stuhl auf, seine Augen weiteten sich, sein Gesicht verzerrte sich, sein Körper wirkte unsicher. Er begann zurückzuweichen, die Arme vor der Brust verschränkt, und seine Stimme war jetzt ein schreckliches Flüstern. »Nein! Du kannst nicht ... nein, du darfst mir nicht nahekommen! Du verstehst nicht, du kannst es nie verstehen! Geh weg von mir!« Havelock starrte ihn an; und der Schock war ebenso unerträglich wie die Wahrheit. Anthony Matthias war geistesgestört.
3. Buch
26
»Hände hoch! An die Mauer und die Beine spreizen! Los! ... Bißchen fix! Lehnen Sie sich gegen die Mauer, die Arme ausgestreckt!« Wie in Trance, die Augen immer noch auf Matthias gerichtet, der wie ein Kind an einem Rosenbusch auf den Knien kauerte, folgte Havelock den Be fehlen des Wachtpostens. Er nahm nur verschwommene Eindrücke wahr, fühlte sich wie betäubt. Alles schien um ihn zu kreisen. Sein pfitel, sein Mentor .. sein Vater .. war
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