Das Parsifal-Mosaik
Speisesaal. Ich benutzte sogar einen separaten Nebeneingang, wenn ich das Haus betrat oder es verließ; nie den Haupteingang. Das hatten wir so vereinbart.« »Ja, ich erinnere mich, du solltest nicht mit ihm gesehen werden.« »Ich würde das anders ausdrücken. Ich hätte es als Ehre empfunden - ich meine das wirklich so, als Ehre -, mit ihm gesehen zu werden. Es war nur besser so ... für uns beide.«
»Aber wenn du Parsifal nicht während dieser zwei Tage gesehen hast, wann sonst?«
Michael blickte sie an, er kam sich hilflos vor. »Ich müßte weit zurückgehen, ein halbes Leben lang, aber das ist ja der Wahnsinn. In seiner Phantasie sieht er mich eine Konferenz verlassen; das könnte alles mögliche sein; ein Klassenzimmer, ein Seminar, ein Vortragssaal. Wie viele waren zugegen? Fünfzig, hundert, tausend? Es dauert ziemlich lange, bis man an einer Universität ein Diplom bekommt. Hat Parsifal vielleicht mit mir ein Seminar besucht?« Jenna lehnte sich vor, und in ihren Augen leuchtete plötzlich das Erkennen auf. »Parsifal hat nicht versucht, dich zu töten, obwohl er viele Gelegenheiten dazu hatte.« »Genau.«
»Dann könnte er jemand sein, den du schon seit Jahren kennst.« »Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Eines dürfen wir nicht vergessen: Wenn man jemanden tötet, ist das immer mit einem Risiko verbunden, auch dann, wenn man einen anderen für die Tat bezahlt. Vielleicht kann er sich nicht einmal den Funken eines Risikos leisten. Vielleicht sehe ich ihn in einer Menge vor mir und kann ihn nicht erkennen. Aber wenn ich wüßte, wer er ist, wäre auch klar, wo ich ihn finden kann. Ich würde es wissen, aber nicht unbedingt andere, vielleicht sonst überhaupt niemand in unserer Branche.« »Der Maulwurf könnte dir beides liefern: die Identität und eine Beschreibung.«
»Erfolgreiche Jagd, Mr. Bradford«, sagte Havelock. »Hast du sonst noch etwas?« fragte er und wandte sich dem Material zu, das sich mit dem Arzt aus Maryland befaßte. »In den Terminkalendern taucht ein Name häufiger auf. Ich weiß nicht, ob ich das richtig verstehe. Warum wird der Shenandoah so oft erwähnt, Mikhail?«
Havelock blickte auf. Irgendwo in seiner Erinnerung war etwas wachgerufen worden.
Emory Bradford bemühte sich, die Augen offenzuhalten; seine Lider fielen ihm immer wieder zu. Abgesehen von ein paar kurzen Nickerchen, hatte er fast sechsunddreißig Stunden nicht mehr geschlafen. Aber er mußte wach bleiben; es war schon Nachmittag. Die Videobänder und die Fotografien aus New York würden jeden Augenblick eintreffen, in größter Eile per Kurier von einer hilfsbereiten Fernsehgesellschaft nach Washington befördert, die sich mit einer oberflächlichen Erklärung zufriedengegeben hatte. Geradezu unglaublich war für Bradford die Vorstellung, daß ausgerechnet Arthur Pierce der Maulwurf sein sollte. Er war der dienstälteste Beamte des State Department, Mitglied der UNO-Delegation, ein Laufbahnbeamter mit einer Dienstakte, die den Neid eines jeden Kollegen herausfordern mußte. Ebenso makellos war vorher seine Militärkarriere verlaufen. Wäre er bei der Armee geblieben, hätte er ohne Zweifel alle Chancen gehabt, einmal zum Kreis der Vereinigten Stabschefs zu zählen. Vor seinem Einsatz in Südostasien hatte Pierce auf der Universität von Michigan seinen Doktortitel mit summa cum laude erworben. Nach fünf freiwillig abgeleisteten Dienstjahren war er zum Major befördert und mit zahllosen Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet worden. Bereits als Jugendlicher bewies der Sohn eines Farmers seine vorbildliche Verantwortungsbereitschaft und Einsatzfreude. Er war Meßdiener in der Kirche, Leiter einer Pfadfindergruppe und Schulsprecher auf der High-School. Arthur Pierce war, wie General Halyard es formuliert hatte, so amerikanisch wie Hamburger und das Sternenbanner. Bei der ersten Überprüfung von Pierce hatte Bradford routinemäßig - zu routinemäßig, denn der Verdacht erschien ihm zu abwegig -auch die Protokolle der vertraulichen Diskussionen innerhalb der US-Delegation überflogen, die während der Operation an der Costa Brava an der Sitzung des Sicherheitsrats in New York teilgenommen hatte. Beim zweitenmal sah er sich die Protokolle, die ein Attaché namens Carpenter verfaßt hatte, besonders gründlich an. Sein Vorgesetzter Pierce, der Mann, der im Rang unmittelbar unter dem Botschafter stand, war häufig erwähnt, seine Vorschläge waren prägnant, intelligent. Und nun stieß Bradford in der
Weitere Kostenlose Bücher