Das Parsifal-Mosaik
sich dem Fenster näherte. »Raus, oder Sie sind ein toter Mann!« schrie er und öffnete die Tür. »Sie haben gehört, was ich gesagt habe! Raus!« Havelock packte den Mann am Kragen, zerrte ihn aus dem Wagen und warf ihn ins Gras. Dann schob er sich selbst hinter das Steuer und schlug die Tür zu; der Motor lief.
Die nächsten fünfundvierzig Sekunden raste er mit hoher Geschwindigkeit im Zickzack über den Flugplatz, wich den Scheinwerferbalken aus und kollidierte wenigstens ein dutzendmal mit parkenden Flugzeugen, bis das demolierte Tor direkt vor ihm war, ohne ihn zu behindern. Er raste hindurch, ohne die Straße richtig wahrzunehmen. Was seine Augen erfüllte, war der schreckliche Anblick von Jenna Karras im Fenster des anrollenden Flugzeugs. In Rom hatte er ihr Gesicht gesehen; es hatte nackte Furcht und Verwirrung ausgedrückt. Augenblicke zuvor war da etwas anderes gewesen; er hatte es in ihren Augen gesehen: kalter, unverhohlener Haß.
13
Er fuhr nach Südwesten, in Richtung Provence, dann nach Süden, auf die Küste zu, zu dem kleinen Städtchen Cagnes-sur-Mer. Da er jahrelang im nördlichen Mittelmeerraum für das CIA gearbeitet hatte, kannte er einen Arzt zwischen Cagnes und Antibes; jetzt brauchte er dringend seine Hilfe. Er hatte den Hemdsärmel abgerissen und damit die Wunde an seiner Schulter verbunden. Aber das reichte nicht aus, um einen Blutverlust zu verhindern. Die ganze Brust war mit Blut bedeckt, das Hemd klebte an seiner Haut. Am Hals hatte er nur eine Prellung, die Platzwunde am Kopf jedoch mußte genäht werden; die leiseste Berührung würde den verkrusteten Riß wieder aufplatzen lassen. Er brauchte auch noch andere Hilfe, und auch die würde Dr. Henri Salanne ihm gewähren. Er mußte mit Matthias Kontakt aufnehmen; jede weitere Verzögerung war unsinnig. Aus den Befehlen mußte es möglich sein, die Identität der Männer ausfindig zu machen, die unter der Codebezeichnung >Ambiguity< eine Verschwörung von ungeheurem Ausmaß inszeniert hatten. Jenna Karras hatte die Aktion an der Costa Brava überlebt - war nicht tot, wie es in den offiziellen Akten hieß -, und ihn hatten sie zum Todeskandidaten erklärt. Ersteres würde Matthias seinem pritele auch so glauben, letzteres würden die versiegelten, schwarz geränderten Geheimakten in Sterns Abteilung bestätigen. Die Gründe waren zwar Havelock nicht zugänglich, wohl aber die Fakten; sie reichten für Matthias aus, um endlich einzugreifen. Und während der Außenminister aktiv wurde, mußte Michael so schnell wie möglich nach Paris gelangen. Das würde nicht einfach sein, denn jeder Flughafen, jede Straße, jeder Bahnhof in der Provence und an der Küste würden überwacht werden, und Matthias würde nichts dagegen unternehmen können. Die Lügner hatten die Zeit und die bessere Kommunikation auf ihrer Seite. Es war viel leichter, Geheimbefehle zu erlassen, als sie zu widerrufen; wenn nämlich die Opfer verschwanden, wollte jeder das Lob für den Mord einstreichen.
Binnen einer Stunde - falls es nicht schon geschehen war -würde Rom über die Ereignisse am Col des Moulinets informiert sein. Per Telefon und über Funk würde die Nachricht verbreitet:
Die Zielperson ist weiterhin in Freiheit. Angeblich verwundet. Das gesamte Netz ist in Alarmzustand; alle Quellen, alle verfügbaren Waffen einsetzen. Zone Null: Col des Moulinets. Radius: maximal zwei Stunden Reisezeit. Benutzt eine LanciaLimousine. Aufspüren und töten.
Gewiß waren die Lügner in Washington bereits an Dr. Salanne herangetreten; aber wie so häufig in der Welt der Geheimdienste, gab es Dinge in seiner Vergangenheit, von denen diejenigen, die in Washington, Rom oder Paris geheime Zahlungen anwiesen, nichts wußten. Über Schmarotzer wie Dr. Henri Salanne waren nur die Leute im Außendienst informiert, die zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gewesen waren und die Namen solcher Leute für sich behielten, falls sie in Zukunft einmal persönliche Hilfe brauchen sollten. Diese Praxis hatte sogar eine gewisse moralische Berechtigung, denn häufig waren die belastenden Informationen oder die Ereignisse selbst Resultat einer momentanen Krise, weshalb die Vernichtung der betreffenden Person gar nicht erforderlich war.
Im Fall Salannes war Havelock zum rechten Zeitpunkt an Ort und Stelle gewesen; um es genau zu sagen, elf Stunden nachher, Zeit genug, um die Folgen zu ändern. Der Arzt hatte einen amerikanischen Agenten in Cannes verraten, der eine kleine Flotte
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