Das Patent
gefragt, was er wohl empfinden würde, wenn er sie wiedersah. Er hatte mit Unannehmlichkeiten, dem einen oder anderen Vorwurf und vielleicht sogar mit Verärgerung gerechnet. Doch eins hatte er sich nicht ausgemalt: bloßes Verlangen. Doch die Sehnsucht, die ihn bei ihrem Anblick erfüllte, war unmissverständlich.
Vor einem Jahr hatte sie den Betriebsleiterposten in Utopia angenommen. Sie hatte die Carnegie-Mellon- Universität verlassen und ihre Beziehung zu Warne beendet. Trotzdem sah sie nun irgendwie jünger aus, als hätte die kalte Luft Utopias regenerative Eigenschaften. Im künstlichen Tageslicht der Unterwelt wirkten Sarahs kupferrote Haare fast zimtfarben und ihre grünen Augen wie mit Gold gesprenkelt. Sie stand wie immer stolz aufgerichtet da und schob das Kinn vor. Sie war stets selbstbeherrscht und selbstsicher und fraglos die stärkste Frau, der er je begegnet war. Doch nun war sie von einer neuen Aura umgeben. Ihre statuenhaften Gliedmaßen bewegten sich auf eine Weise, die er sofort verstand. Es war die Aura instinktiver Befehlsgewalt. Sarah hielt die allgegenwärtige Teetasse in der rechten Hand. Unter den linken Ellbogen hatte sie einen dünnen Stoß Papier geklemmt.
»Danke, dass du gekommen bist, Andrew«, sagte sie mit einem Nicken. Sie stellte die Tasse auf den Tisch und reichte ihm die Hand.
Warne schüttelte sie. Sarahs Berührung fiel kurz und geschäftsmäßig aus. Sie zeigte nicht im Geringsten, dass sie noch Zuneigung für ihn empfand.
Dann fiel ihr Blick auf Georgia, die ihnen schweigend von der Projektionstafel her zuschaute. Sarahs Arme sanken herab. Eine Sekunde zeigte ihr Gesicht Überraschung: einen leeren, ausdruckslosen Blick. Warne hatte ihn nur selten gesehen. Doch er verschwand so schnell, wie er gekommen war.
»Hallo, Georgia«, sagte Sarah mit einem Lächeln. »Ich wusste nicht, dass du mitkommst. Welche Überraschung. Welch schöne Überraschung.«
»Hallo«, erwiderte Georgia nur.
Dann folgte eine unbehagliche Stille. Sie dauerte etwa fünf Sekunden.
»Seit wir uns zuletzt gesehen haben, bist du um mindestens fünfzehn Zentimeter gewachsen. Und hübscher bist du auch geworden.«
Statt einer Antwort ließ Georgia die Projektionstafel hinter sich und baute sich neben ihrem Vater auf.
»Was macht die Schule? Soweit ich weiß, hattest du einige Probleme in Französisch.«
»Läuft ganz gut, glaub ich.«
»Wie schön.« Eine Sekunde Pause. »War´st du schon im Park? Hast du dir die Attraktionen angesehen?«
Georgia nickte. Sie schaute nicht groß auf.
Sarahs Blick richtete sich auf Warne. Was macht sie hier, Drew?, fragte ihr Gesichtsausdruck.
In diesem Moment tauchten zwei weitere Personen im Türrahmen auf: ein hoch gewachsener schlanker Mann von etwa vierzig Jahren und eine junge Asiatin in einem weißen Laborkittel.
Sarah maß sie mit einem kurzen Blick. »Kommt bitte rein!«, sagte sie forsch. »Ich möchte euch Dr. Warne vorstellen. - Andrew, das ist Fred Barksdale, unser technischer Direktor.«
Der Mann entblößte lächelnd zwei perfekte weiße Zahnreihen. »Ist mir eine Freude«, sagte er mit gepflegtem Londoner Akzent und trat vor, um Warne die Hand zu schütteln.
»Willkommen in Utopia. Endlich, sollte ich vielleicht hinzufügen.«
»Und das ist Teresa Bonifacio, die mit Fred in der Robotik zusammenarbeitet.«
Als Warne den Namen hörte, musterte er die Asiatin mit frisch erwachter Neugier. Er hatte zwar einige Dutzend Male mit ihr telefoniert - oft genug, um aus der Ferne gut bekannt zu sein -, doch sie waren sich noch nie begegnet. Teresa war etwa einen Meter fünfundsechzig groß und hatte dunkle Augen und kurzes, pechschwarzes Haar. Als sie seinen Blick erwiderte, stellte er beinahe entsetzt fest, wie attraktiv sie war. Während ihrer zahlreichen Gespräche war er nie auf die Idee gekommen, der tiefen, lakonisch klingenden Telefonstimme ein Gesicht zuzuordnen.
»Teresa«, sagte er, »endlich lernen wir uns mal kennen!«
Die Frau reagierte mit einem Lächeln und zog den Kopf irgendwie vogelartig ein. »Ich fass es nicht! Ich hab das Gefühl, dass wir uns seit Jahren kennen.« Ihr Lächeln war herzlich, aber auch leicht schelmisch; es kräuselte ihre Nase und ihre Augenwinkel.
»Das ist Georgia«, fuhr Sarah fort. »Andrews Tochter.«
Barksdale und Bonifacio drehten sich neugierig zu dem Mädchen um. Als Warne sie beobachtete, kam ihm plötzlich eine Befürchtung. Die Sache hier war eindeutig kein informelles Gespräch, kein nostalgisches
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