Das Patent
und sich neben sie zu stellen. Sie beobachtete das Mädchen, als es nach vorn trat und plötzlich erstaunt verharrte.
»Halt dich gut am Geländer fest!«, sagte Teresa lächelnd, als sie Georgias verdutzte Miene sah. »Es dauert eine ganze Weile, bis man sich dran gewöhnt hat. Wenn es dir hilft, mach für einen Moment die Augen zu.«
Sie standen hoch unter dem gläsernen Kuppeldach Utopias auf einer Besichtigungsplattform. Unter ihnen, hinter einer nur aus ihrer Richtung durchsichtigen Glasscheibe, breitete sich der gesamte Park aus. Man konnte sehen, wie sich der kühle Strang des Nexus bis in den Mittelpunkt hinabschraubte. Von ihm gingen wie die Stücke einer halbierten Grapefruit die einzelnen Welten aus: jede ein Chaos aus Farben und Formen, eine ganz anders als die andere.
Die futuristische Raumstation Callisto hatte aus dieser Höhe den finsteren, polierten Glanz einer Schwarzlichtfotografie.
Gaslight war in Nebelschleier gehüllt. Boardwalk bestand nur aus hellem Licht und Pastelltönen. Überall waren Menschen: Sie gingen über Boulevards und Gehsteige, standen in Warteschlangen, fotografierten, studierten Lagepläne, redeten mit Darstellern, aßen, tranken, lachten und riefen.
Es war, als schaue man auf den Grundriss eines durch Zauberei zum Leben erweckten Parks. Und doch war es viel mehr, denn aus dieser Höhe konnte man sämtliche komplexen Maschinerien und Anlagen erkennen, die die Touristen nie zu sehen bekamen: versteckte Ein- und Ausgänge, offene Gebäuderückseiten, Elektrokarren, Requisiten, Ausrüstungsgegenstände und Geheimgänge, die den Raum zwischen den Mauern und hinter den Fassaden füllten.
Teresa deutete auf einen Arbeiter, der fast genau unter ihren Füßen mit einem Funkgerät in der Hand durch einen engen Korridor schritt. »Den Mann hinter den Kulissen beachtet man nicht«, sagte sie lachend. »Was hältst du davon?«
»Boah, ey.« Georgia starrte mit glänzenden Augen auf das Schauspiel hinab, das unter ihnen ablief. Plötzlich deutete sie in die Tiefe. »Schau mal - da ist der >Brighton Beach Expresse.
Mit dem sind wir heute Morgen gefahren. Da ist auch der >Kreischer<. Ich wusste gar nicht, dass die beiden so nahe beieinander liegen.«
»Das gehört zur Freizeitparkphilosophie«, erwiderte Teresa.
»Man baut den Ausgang einer Attraktion in die Nähe des Eingangs zur nächsten.«
Sie wich, noch immer lächelnd, zurück und behielt Georgia im Auge, die sich fasziniert umschaute. Im Gegensatz zu den meisten Konkurrenzunternehmen erlaubte Utopia keine Führungen hinter die Kulissen. Auch bekamen die Besucher - VIPs ausgenommen - die Unterwelt nie zu Gesicht. Bisher hatte sich noch kein Besucher den Park von hier aus ansehen dürfen. Es war irgendwie schade, denn der Anblick konnte jeden in Erstaunen versetzen - auch blasierte Vierzehnjährige, die glaubten, schon alles gesehen zu haben.
»Schau dir das mal an!«, sagte Teresa. Sie deutete auf eine kleine, vor ihnen am Geländer befestigte Tafel und las: »>Eric Nightingale, 1956-2002.< Wir nennen diesen Ort das Nachtigallennest. Man hat es seiner Vision von Utopia gewidmet.«
Sie schenkte Georgia erneut einen Blick. »Bist du ihm je begegnet?«
»Er kam immer zu uns nach Hause. Dann hat er sich mit Papa unterhalten. Über Robotik, glaub ich. Er hat ein paarmal Backgammon mit mir gespielt. Er hat mich öfter gewinnen lassen als mein Vater.«
Teresa schüttelte den Kopf. Es war irgendwie amüsant, sich Eric Nightingale mit einer Schülerin der Unterstufe beim Backgammon vorzustellen. Dann wandte auch sie sich um und ließ den Blick über den Park hinweg schweifen. »Jeder, der in Utopia arbeitet, kommt irgendwann mal hierher«, sagte sie. »Meist am ersten Tag. Es ist eine Art Initiation.
Doch abgesehen davon ist es hier ziemlich ruhig. Wegen der vielen Stufen. Aber ich komm gern hier rauf. Und ich brauche weiß Gott Bewegung. Es ist so friedlich hier. Wenn ich wegen der Arbeit oder so niedergeschlagen bin, weiß ich immer: Wenn ich hier raufgehe, fällt mir immer wieder ein, wofür ich arbeite. Heute irgendwie auch.«
Sie verstummte jäh, denn ihr wurde bewusst, dass sie mehr gesagt hatte, als sie hatte sagen wollen. Als sie Georgia anschaute, fiel ihr auf, dass sie sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck musterte. Sie denkt über mich nach, dachte Teresa. Über was wohl? Na ja, eigentlich möchte ich es lieber nicht wissen.
»Ist was?«, fragte sie.
Georgia schaute kurz beiseite. Dann blickte sie Teresa wieder
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