Das Patent
Er trat vom Vorhang zurück und sah Olmstead, den Burschen, der seinen Schildknappen mimte, seinen ecuyer, wie die »Kindermädchen« sie ständig zu sagen zwangen.
»He, Alter.« Olmsteads grinsender Kopf ragte aus einem großzügig mit Feuergel bestrichenen Kettenhemd. »Wie geht's und steht's?«
»In dieser Montur steht nichts.«
Olmsteads Grinsen wurde breiter. »Komm, vergnüg dich! Heute ist dein letzter Tag, hast du´s vergessen? Was mich angeht, so hab ich bis zum Wochenende noch acht Vorstellungen.«
Theatralische Musik schwoll an. Sie donnerte aus ganzen Batterien von Lautsprechern, die hinter den Kulissen verborgen waren. Der Erzmagier hatte seine Zauberformeln nun fast aufgesagt. Hinter der Bühne konnte man die Spannung fast mit den Händen greifen. Gleich würde der Teufel los sein.
Hagen warf einen kurzen Blick auf die Inspizientin. Sie stand hinter den Kulissen vor einer Reihe von Monitoren. Ihr Finger verharrte auf der Steuerkonsole über dem Knopf, der die Effekte auslöste. Neben ihr stand der Bühneningenieur an der pyromusikalischen Abschusstafel und überwachte den von einem Rechner choreografierten Feuersturm, der gleich einsetzen würde. Hinter den beiden stand ein kleiner bebrillter Gelehrtentyp, den Hagen nicht kannte. Er hielt einen Dezibelmesser in der Hand. Wahrscheinlich der Feuerwerkexperte, auf den alle gewartet haben, dachte er. Die im Finale als Salut verwendeten Kanonenschläge waren zwar eine Schau, aber wahnsinnig laut. Es gab immer Gäste, die sich beschwerten. Außerdem litten zwei Angehörige der Mannschaft inzwischen an Tinnitus. Hagen warf noch einen Blick auf den Kahlkopf, den man geholt hatte, damit er die Dinge in Ordnung brachte. Ein leises Feuerwerk, dachte er.
Gott, was für ne grässliche Vorstellung!
Heute würde es nicht leise sein. In wenigen Sekunden war hier die Hölle los. Die Greifen würden erwachen und Königin Kaiina und den Prinzregenten umzingeln. Der böse Erzmagier Mymanteus würde mit Eisbolzen und magischen Raketen gegen sie antreten. Alle Kinder im Publikum würden laut schreien. Dann würde Hagen höchstpersönlich ins Szenenbild marschieren. Er würde auf die Bühne eilen, heldenhaft kämpfen und zwei Minuten später sterben. Und das dreimal täglich. Aber heute zum letzten Mal. Dann wollte er seinen Schild an die Wand hängen, das Schwert zurückgeben und hoffen, dass er nach Creosote kam, ohne dass die Kollegen einen Feuerwehrschlauch auf ihn richteten oder ihn anderweitig malträtierten.
Die Techniker gerieten nun wirklich ins Schwitzen. Die Nebelmaschinen machten Überstunden und bliesen Ströme grauen Dunstes ins Theater. Die Inspizientin hatte das elektronische pyrotechnische System scharf gemacht, drückte nun den Einschaltknopf und nickte in Richtung Kontrollraum.
Ein ungeheures Krachen, das den Boden erbeben ließ, ertönte und wurde von Rufen und Schreien aus dem Publikum begleitet. Die Greifen hatten ihren Auftritt. Dreißig Sekunden.
Schwaches rotes Geflacker schien durch die gazeartigen Vorhänge. Hin und wieder durchschnitt ein helleres Aufleuchten die Düsternis: die Lasereffekte, die der Zauberspruch des Erzmagiers hervorbrachte. Olmstead grinste erneut und nickte. In Hagens Adern fing das Bühnenadrenalin an zu rotieren. Ein Techniker kletterte am äußersten rechten Rand auf einen Laufgang, um dafür zu sorgen, dass der kleine Roboter, der den Laser abfeuerte, auf der Spur und abmarschbereit war. Als die Subwoofer unter der Bühne losschlugen, bebte wieder der Boden. Hagen schaute auf die Uhr : 13.28. Noch mehr Blitze, dann ein hysterisches, bösartiges Lachen. Das Zeichen für seinen Auftritt.
Die Inspizientin machte das Handzeichen. »Hagen! Los!«
Hagen atmete tief durch, packte sein Schwert mit fester Hand, hob den Schild vor den Brustpanzer und tappte schwerfällig los. Der Assistent der Inspizientin hob den Daumen. Ein Bühnenarbeiter teilte den Verdunkelungsvorhang.
Rauchschleier und Korditdünste wehten Hagen entgegen. Dann stand er auf der Bühne.
Hagen hatte rund dreihundert Vorstellungen hinter sich.
Doch heute, am letzten Tag, wollte er sich bemühen, alles mit anderen Augen zu sehen: Um die Erinnerung zu bewahren.
Wie es aussah, wie es roch, wie es sich anfühlte, im »Greifenturm« auf der Bühne zu stehen.
Am deutlichsten war der Lärm. Das Geschrei des Publikums, das Brüllen der wütend über die Bühne stolzierenden Greifen, das jähe Kreischen der magischen Blitze des Erzmagiers - eine
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