Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Titel: Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Hensel
Vom Netzwerk:
und zerschlissene Sandalen. Er spielte eine Melodie, die Gabriel schon einmal gehört hatte, in einem alten amerikanischen Film. Er erinnerte sich nicht an den Titel.
    Acht Monate lang hatte er für diese letzten drei Tage geplant. Jetzt arbeitete er nur noch die Liste ab und setzte Häkchen. Seine Auftraggeber schätzten, dass sie sich auf ihn verlassen konnten. Dass er Erfolge lieferte, nichts als Erfolge. Wo gab es das noch? In einer Welt, in der erwachsene Männer auf Apfelsinenkisten saßen und Gitarre spielten?

13. August
    »Ihr griecht nix von uns!«
    BILD, 5. März 2010

9
    Maria saß im Frühstücksraum, abseits zweier Touristengruppen. Am Nebentisch, außer Hörweite der Touristen, telefonierte ein Reiseleiter. Er jammerte, gestikulierte, notierte eine Telefonnummer und wählte erneut. Ein Blick auf den Fernseher, der unterhalb der Decke hing, und Maria begriff, warum: Die Akrópolis war von Demonstranten besetzt. Die Kamera schwenkte über Barrikaden, Transparente, einen von Reisebussen und wartenden Touristen überfüllten Parkplatz.
    Inihrem Schulreferat hatte Maria von der Einführung der Demokratie geschwärmt. Vom Rat der Fünfhundert , der Mutter aller Parlamente. Von der Dikastería , Athens Experiment mit direkter Justiz. Von der griechischen Philosophie und den Tragödien, die heute noch überall auf der Welt gespielt wurden, sogar am Theater in Rostock. Die antiken Griechen wussten, dass die Erde rund war. Sie hatten ihren Umfang berechnet, sie kannten Atome und Elektrizität. Schließlich, 168 vor Christus, die Schlacht von Pýdna. Verheerende Niederlage gegen die Römer. Fünfundzwanzigtausend Tote in einer Schlacht, die höchstens zwei Stunden dauerte. »Noch am nächsten Tag«, hatte sie ihr Referat beendet, »war der Fluss, der durch das Schlachtfeld floss, rot von Blut.« Die Klasse hatte betreten geschwiegen. Schließlich hatte Kenny sich gemeldet und gefragt:
    »Und dann?«
    »Wie – und dann?«
    »Was ist mit Griechenland passiert?«
    »Nichts.«
    »Mit Griechenland muss doch was passiert sein.«
    Maria hatte keine Antwort gewusst. Und Frau Holtkötter hatte ihr für diese peinliche Lücke zwei Punkte Abzug gegeben.
    Der Reiseleiter telefonierte immer noch, mit wachsender Verzweiflung. Im Fernseher sah man Rangeleien zwischen Demonstranten und Polizisten. Maria wusste die Antwort bis heute nicht: Was war mit Griechenland passiert? Nach 168 vor Christus, der Schlacht von Pýdna?
    Viertel nach neun. In Deutschland war es eine Stunde früher. Robert saß vermutlich gerade im Kabuff über der Bar. Das U-Turn schloss selten vor vier Uhr morgens. Robert verriegelte die Türen, schaltete die Lichter aus. Dann ging er laufen, fünfzehn Kilometer zwischen Spreeufer und Hasenheide, »puste mir das Nikotin aus den Lungen«. Er duschte, Aracelita, die Putzfrau, brachte belegte Brötchen vom Bäcker. Im Kabuff machte er ein, zwei Stunden Buchhaltung. Selten ging er vor zehn Uhr ins Bett.
    »Morgen, Aracelita.«
    »Maria! Wie geht dir?«
    »Alles klasse, danke. Gibst du mir Robert?«
    »Robert ist Krankenhaus.«
    »Was?«
    »Hatte gestern schlimme Bauchschmerzen. Blinddarm. Müssen machen Operation.«
    »Wann?«
    »Heute. Ärzte sagen, gerade noch rechtzeitig. Muss bleiben im Krankenhaus mindestens fünf Tage.«
    Fünf Tage. Und danach war Wochenende.
    »Wer macht die Bar?«
    »Steffen, Janina. Kriegen nur alle unser Geld eine Woche spät.«
    Maria ließ das Telefon sinken. Blinddarm. Eine Woche. Wie sollte sie bis dahin mit vierzig Euro überleben? Sie stellte im Kopf eine Liste ihrer Bekannten zusammen, die sie anpumpen könnte. Die Liste war lang. Dann strich sie alle, von denen sie wusste, sie waren selbst im Urlaub. Die Liste wurde kürzer. Sie strich diejenigen, von denen sie weder die Telefonnummer noch die Mailadresse bei sich hatte. Die Liste wurde deutlich kürzer. Sie strich weitere Bekannte, von denen sie wusste, sie würden sich in Ausreden flüchten. Oder ihr nur so wenig leihen, dass es nicht reichen würde, um ihr Konto zu entsperren. Schließlich strich sie die Namen der Menschen, von denen kein Cent zu holen war, die selbst bei Maria Schulden hatten. Also ihre Eltern und sämtliche Bewohner ihrer WG.
    Es blieb niemand übrig.
    Sie kannte die falschen Leute.
    Sie aß ihren Teller leer. Sie musste anfangen zu planen. Sie ging zum Buffet und steckte sich zwei Äpfel in die Hosentaschen. Sie blickte sich um. Die Servierer waren beschäftigt. Sie zog ihr T-Shirt hoch und klemmte ein

Weitere Kostenlose Bücher