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Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Titel: Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Hensel
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ihren Bauch gegen die Bettkante drückten.
    Gabriel machte seinen Plan für den Tag. Ohne Papier und Stift, aber sorgfältig in seinem Kopf. Wer keinen Plan für den Tag hatte, hatte keinen Plan für die Woche. Wer keinen Plan für die Woche hatte, hatte keinen für den Monat und das Jahr. Für sein Leben. Auf der anderen Seite der Wand stöhnte die Frau laut und unecht. Was hatte ein Mann davon, dem Stöhnen einer Prostituierten zu glauben?
    Er stand auf und ging ins Bad. Der Spiegel war fleckig, die Glühbirne hing nackt an einem Kabel von der Decke. Ein Hotel für Huren und Freier. In einem solchen Hotel war niemand übertrieben neugierig. Die Frage des Rezeptionisten nach seinem Pass hatte er höflich mit einem Zwanzig-Euro-Schein beantwortet. Das Zimmer war dunkel und abgewohnt, aber sauber. Mehr brauchte er nicht für drei Tage.
    Er stellte sich unter die Dusche. Das Wasser war kalt und roch nach Chlor. Er liebte kaltes Wasser nicht. Vor knapp fünf Monaten hatte er das letzte Mal unter einer kalten Dusche gestanden, in Sirt, im Funduq Qasr Mutaramat. Vor den Kämpfen war es das beste Hotel der Stadt gewesen. Nach den Kämpfen war es immer noch das beste Hotel, weil nicht alle Räume zerstört waren. Aber das Wasser war kalt gewesen. Muammar 1, Muammar 2 und Saleem hatten ihn in einem Konferenzzimmer erwartet. Sie hatten dieses Zimmer extra für ihre Zusammenkunft gemietet. Drei intelligente, ehrgeizige junge Männer, die professionell wirken wollten. Ehemalige Studenten der Al-Tahadi-Universität Sirt. Alle drei vom Stamm der Guededfa, dem Stamm des inzwischen toten Revolutionsführers Gaddafi. Geächtet im neuen Libyen, ohne Arbeit, ohne Zukunft. Immer wieder hatten sie das Wort »diskriminiert« benutzt. Muammar 2 und Saleem hatten bereits Frau und Kinder. Alle drei träumten von einem Neubeginn, in Kanada und Neuseeland. Hier, in Sirt, saßen sie auf einem Schatz. Doch sie hatten niemanden, an den sie verkaufen konnten. Bis auf Gabriel. Gabriel hatte gesagt: »Meine Auftraggeber brauchen einen Beweis, dass es funktioniert.« Die Libyer hatten eine Demonstration an Hühnern oder Ziegen vorgeschlagen. Gabriel hatte gesagt, Hühner oder Ziegen sind nicht genug. Zwei Tage hatte er warten müssen, in seinem Hotelzimmer mit dem kalten Wasser. Endlich war es so weit gewesen. Frühmorgens waren sie in einem Landrover in die Wüste gefahren, und Gabriel hatte sich erkältet.
    Er trocknete sich ab. Er prüfte im Spiegel seine linke Schulter. Die Wunde war gerötet und etwas geschwollen. Sie schmerzte aber nur, wenn man drückte. Neben der Tür, an einem rostigen Haken, hing eine rote Kunstledertasche, in der er alles verwahrte: Narben, Tätowierungen, Goldzähne, Muttermale …
    Er klebte sich Herpesbläschen auf die Lippen. Eine Tätowierung auf den Unterarm. In der Reisetasche verwahrte er die falsche Rolex und die Sonnenbrille mit dem Playboy-Bunny. Im Nebenzimmer hörte er das Schlagen einer Tür, dann eine Kinderstimme.
    »Fuck you dick! Fuck you dick!«
    Die Stimme eines kleinen Mädchens – heiser, als ob es zu viele Zigaretten rauchte. Die Frau sagte etwas, das Mädchen antwortete trotzig, in einer Balkansprache, die Gabriel nicht verstand. Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Er tupfte etwas Make-up auf die Wangen, gerade so, dass es schlecht geschminkt wirkte. Ein Mann, der eitel war und dumm. Den man umschmeicheln und übers Ohr hauen konnte. Der andere würde seinen Irrtum schließlich bemerken – aber dann war es für ihn zu spät.

11
    Die Besetzer standen hinter Barrikaden aus Absperrgittern und Stacheldraht. Sie hielten Transparente hoch. Manchmal rief einer eine Parole durch ein Megaphon, dann fielen die anderen ein und bliesen in Trillerpfeifen. Die Polizisten standen hinter ihren Schutzschilden, einige sprachen in Funkgeräte. Polizeiwagen und Wasserwerfer standen auf der anderen Straßenseite. Am Rand, wie Schiedsrichter am Spielfeld, schauten chinesische Touristen zu. Sie trugen Khaki-Shorts, Socken und Sandalen. Allen hingen Fotoapparate um den Hals. Wenn es vor den Barrikaden eine Rangelei gab oder eine Flasche flog, rissen die Chinesen die Fotoapparate vors Gesicht und knipsten. Maria stand hinter den Polizeiwagen, in einer Gruppe von Schaulustigen.
    »Die armen Cops, sie können nichts machen«, hörte sie hinter sich eine Stimme. Die dicke Frau stand hinter ihr, starrte durch ihre Sonnenbrille auf die Barrikaden. »Die Chinesen. Ausgerechnet das Land, das uns aus dem Dreck ziehen soll.

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