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Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Titel: Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Hensel
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paar Trockenpflaumen zwischen Bauch und Gürtel.
    Ein trockener, warmer Wind wehte Papier und einen Plastikbecher über das Pflaster. Schleierwolken zogen über den weißblauen Himmel. Nur wenige Menschen waren in der Fußgängerzone unterwegs, die Geschäfte warben mit Rabatten von 30, 50, 80 Prozent. Falls die Schaufenster nicht schon leer geräumt waren und ein roter Aufkleber an der Scheibe klebte: ΕνοικιAζεται. Es musste »zu vermieten« bedeuten oder »zu verkaufen«.
    In den Seitenstraßen standen Müllcontainer, manche umgestürzt, alle überfüllt. Gestern hatte der Müll sich mit Wasser vollgesogen, jetzt faulte er und stank. Eine Frau und ein Junge stöberten im Müll, mit Mundschutz und Gummihandschuhen. Manchmal fanden sie eine Getränkedose oder eine Pfandflasche und warfen sie in einen Sack. Der Junge trug Ohrhörer und wippte bei der Arbeit mit dem Kopf.
    Maria merkte schnell, wenn ihr jemand folgte. Ein Instinkt aus ihrer Kindheit. Mit acht Jahren war sie mit ihren Eltern aus Kasachstan nach Rostock-Lichtenhagen gekommen. Vier Jahre vorher hatte dort das Asylbewerberheim gebrannt. Sie hatte bei ihrer Ankunft kein Wort Deutsch gesprochen. Die Jungen hatten sie in Ruhe gelassen, vielleicht wegen ihrer blonden Haare. Mit den Mädchen gab es ständig Prügeleien. In dieser Zeit hatte sie Antennen entwickelt, die bis heute intakt waren. Sie schöpfte schon Verdacht, wenn sie jemand über den Rand einer Zeitung beobachtete. So wie vorhin die rundliche, schwarz gekleidete Frau in der Lobby. Diese Frau folgte ihr jetzt durch die Fußgängerzone. Maria blieb vor einem Schaufenster stehen, die Frau blieb vor einem anderen Schaufenster stehen. Maria band sich die Schuhe zu, die Frau nestelte in ihrer Handtasche. Maria ging weiter. Blieb stehen, sah auf die Uhr. Tat, als fiele ihr etwas Wichtiges ein. Drehte sich um und ging zurück. Die Frau kam ihr entgegen. Maria war überrascht, wie jung sie war. Sie hatte sie, wegen ihrer matronenhaften Figur, für mindestens fünfzig gehalten. Aber die hell gepuderte Haut war faltenlos, ihr flaches, weiches Gesicht kindlich. Ihr schwarzes, knielanges Kleid saß eng auf den Hüften. Sie trug Slingpumps, ein türkisfarbenes Halstuch und eine Sonnenbrille mit türkisfarbenem Gestell. Die Frauen passierten einander. Maria hörte das Klackern der Absätze auf dem Pflaster. Sie blickte sich um, bevor sie in eine Seitenstraße einbog. Die Frau stand zwischen zwei Blumenschalen und sah ihr nach.
    Maria blieb stehen. Wasser tropfte aus einer Klimaanlage aufs Pflaster. Sie griff nach ihrem Telefon.
    »Guten Morgen, Kommissar Gerakákis.«
    »Guten Morgen, Frau Brecht. Sind Sie gut angekommen?«
    »Ich wollte Ihnen meine Telefonnummer durchgeben.«
    »Ich habe sie auf dem Display.«
    »Haben Sie schon etwas herausbekommen?«
    »Die Ermittlungen laufen.«
    Das war nicht wirklich eine Antwort.
    »Ich sollte Sie anrufen, wenn mir etwas auffällt«, sagte Maria. »Zum Beispiel, wenn ich verfolgt werde.«
    »Verfolgt? Von wem?«
    Seine Stimme klang alarmiert. Maria beschrieb die Frau.
    »Es muss nichts bedeuten«, sagte Gerakákis. »Meistens Bulgaren oder Rumänen. Sie lauern Touristen auf, erzählen dramatische Geschichten von Arztrechnungen und sterbenden Kindern. Geben Sie ihr kein Geld.«
    Spaßvogel.
    »Eine Sache, Frau Brecht … Waren Sie vorgestern das erste Mal im Psilorítis-Gebirge?«
    »Ja.«
    »Aber Sie hatten das Mountainbike schon ein paar Tage?«
    »Ich war nur an der Küste unterwegs.«
    »Sie kannten sich also in den Bergen nicht aus?«
    »Ich war vorher nie dort. Wieso?«
    »Eine reine Formalität. Genießen Sie Ihren Aufenthalt!«
    Aufgelegt. Was sollte diese Fragerei? Und wieso »Formalität«? Immerhin wusste er, sie hatte das Rad für mehrere Tage gemietet. Also war er in Barney’s Bikeshop gewesen.
    Sie hörte das Klackern der Absätze nicht mehr. Lauwarmes Wasser tropfte auf ihren Kopf. Zwei Ratten kämpften im Rinnstein. Quiekend, mit gefletschten Zähnen, stritten sie sich um eine Wurstrinde.

10
    Gabriel saß auf dem Bettrand. Aus dem Nebenzimmer hörte er Stöhnen, Keuchen, das Knarren von Sprungfedern. Er stellte sich die Szene vor, auf der anderen Seite der Wand. Das Mädchen jung, übermüdet, sie arbeitete schon die ganze Nacht. Der Freier ihr zehnter, fünfzehnter Kunde. Ungewaschen, aus den Achselhöhlen riechend, mit behaartem Rücken. Sie musste ihn reiten, weil er betrunken war. Oder sie musste die Stöße seiner Hüften ertragen, die

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