Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
U-Turn hatten sie mehrere Champagner auf der Karte. Dieser Cava war besser.
»Und schließlich, Maria, investiere ich in Menschen mit einer Geschichte. In Menschen, sagen wir, wie Sie. Rede ich von Geld? Um Himmels willen! Ich rede von Vertrauen!«
Schade, dachte Maria. Sie stellte sich vor, wie sie in Barney’s Bikeshop einen Haufen Vertrauen auf den Tisch legte.
»Schauen Sie sich um«, fuhr er fort. »Was sehen Sie?«
»Teure Kleider. Teure Uhren. Teuren Schmuck.«
»Täuschen Sie sich nicht. Die meisten dieser Leute sind überschuldet. Sie lassen ihre Platin-Kreditkarten aus den Portemonnaies schauen; aber sie können mit diesen Karten schon lange nichts mehr kaufen. Die Geschäfte trauen ihren Kunden nicht. Die Kunden trauen den Banken nicht. Die Banken trauen sich gegenseitig nicht. Misstrauen überall. Am Arbeitsplatz, unter Freunden, sogar in der Familie. Wo Vertrauen fehlt, fehlt Geld. Und wo Geld fehlt, wachsen die Schulden. Sie vertrauen mir. Ich missbrauche Ihr Vertrauen. Ich produziere Schulden.«
Jemand rief seinen Namen, er schien nicht zu hören. Sein Blick ruhte konzentriert auf Maria.
»Über wie viel Geld verfügen Sie?«, fragte er.
»Geld? Ich?«
»So ungefähr.«
»Ich hab’s nicht im Kopf.«
»Sagen wir, Sie schlagen sich durch. Sie verhungern nicht, aber hätten gern mehr. Können wir uns darauf einigen?«
»Darauf können wir uns einigen.«
»Wie viele Freunde haben Sie? Denen Sie vollkommen vertrauen?«
Vielleicht Fredrik. Wenn er nicht bekifft war.
»Sagen wir, ein paar«, sagte er. »Aber hätten Sie gern mehr?«
»Wer hätte die nicht gern?«
Er lächelte. »Sehen Sie den Zusammenhang? Geld ist Vertrauen, Vertrauen ist Geld. Sie können die Begriffe in die Luft werfen. Fangen Sie einen, fangen Sie auch den anderen.«
Der Rauch der Cohibita, das Prickeln des Cava versetzten sie in gelöste, fast schwerelose Stimmung. Sie hatte keine Lust auf Widerspruch.
»Sie haben auf Kreta eine spannende Sache erlebt«, hörte sie Yánnis sagen. »Ein Boot, ein Mann, ein auffallend stabiler Koffer … Vielleicht sogar ein Mord.«
Ihre Stimmung platzte wie eine Seifenblase. Er wusste es also auch. Wahrscheinlich von Eléni. Aber warum fing er plötzlich an, von einem Mord zu reden?
»Etwas ist schiefgelaufen«, fuhr er fort. »Davon muss man ausgehen. Sie sind nach Athen gekommen. Eléni sagt, jemand hat Sie gelockt. Vielleicht hat sie recht, vielleicht nicht. Trauen Sie Eléni?«
»Ich kenne sie erst seit ein paar Stunden.«
»Tatsächlich? Sie redet von Ihnen, als seien Sie gute Bekannte.«
Was erzählte diese Frau über sie?
»Vertrauen ist ein kostbares Gut, Frau Brecht. Wir dürfen es nicht verschleudern.«
Maria hatte nicht mehr vor, noch irgendjemandem zu vertrauen; nicht Gerakákis, nicht Eléni, und auch nicht Yánnis.
»Natürlich«, sagte er, »spüren wir alle diese Sehnsucht. Wir wollen vertrauen, unsere Geheimnisse mit einem Menschen teilen. Aber nicht mit jedem. Und schon gar nicht umsonst. Also umkreisen wir uns. In kleinen Schritten. Wir beschnuppern uns, tasten uns ab. Jeder gibt ein wenig preis.«
Sie trank einen tiefen Schluck. »Was, Yánnis, geben Sie preis?«
»Mein Interesse. An Ihrer Person und Ihrer Geschichte. Vertrauen Sie mir, Maria. Sie werden es nicht bereuen.«
Er zwinkerte, aber er lächelte nicht. Er warf den glühenden Rest seiner Cohibita in die Nacht und sagte leise:
»Beginnen wir mit einer einfachen Frage. Wo ist der Koffer?«
16
Er öffnete die Schlösser, dann die Schnallen. Er klappte den Deckel hoch. Sie hatten einige Hosen, Hemden, Wäsche hineingestopft, für den Fall einer Kontrolle. Billiges Zeug, er würde es wegwerfen. Aber darunter lag das Dromedar. Der Körper aus Atlas-Zeder. Die Augen aus Karneol. Schwanz und Hals mit bunten Perlen geschmückt, die Satteldecke bunt bestickt. Kunsthandwerk, wie es die Berber auf den Basaren Nordafrikas verkauften. Jedes Dromedar war ein bisschen anders. Deshalb war es Gabriels Bedingung gewesen: Es sollte dasselbe Dromedar sein, das er an jenem Vormittag, während der Vorführung in der Wüste, gesehen hatte. So konnte er sicher sein, dass es von den drei Libyern kam, nicht von einem Betrüger. Was die jungen Libyer anging: Sie würden nicht wagen, ihn zu betrügen. Sie wussten, wer er war.
Er legte das Dromedar auf den Nachttisch. Er drückte die Perlen zwischen den Ohren und unter dem Schwanz zusammen. Der Holzkörper klappte auf: Zehn Glasröhrchen lagen nebeneinander, jedes in
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