Das Pest-Gewölbe
auf den Kopf getroffen.
Im Spiegel zeichnete sich das Gesicht schattenlos ab. Sie konnte auch die Blässe der Haut erkennen. Nicht mal der Champagner ließ ihre Haut röter werden, wie es sonst der Fall war.
Wenn sie ehrlich gegen sich selbst war, dann sah sie tatsächlich um einige Jahre jünger aus. Sie hatte jetzt keine Falten mehr! Selbst die Fältchen um die Augen herum waren verschwunden. Wie weggeputzt, aber Vivian dachte realistisch darüber nach und gestand sich ein, daß diese glatte Haut nicht zu ihr paßte. Sie war einfach nicht die Frau dafür, das Gesicht wirkte nicht mehr wie ein Gesicht, sondern mehr wie eine Maske.
Nein, es war eine Maske!
»Himmel«, flüsterte sie. »Was habe ich da nur getan? Was habe ich da gemacht? Mein Gott!« Aus den Worten war die Verzweiflung zu hören gewesen. Sie stand unter Druck, Vivian focht einen innerlichen Kampf aus.
Ihr Mann hatte damit nichts zu tun. Er hatte ihr die Creme gegeben, aber sollte sie ihn deswegen verdammen oder verfluchen?
Nein, das konnte sie nicht, er hatte es schließlich nur gut mit ihr gemeint, zudem hatte sie auch darauf gedrängt.
In den letzten beiden Tagen war das Verhältnis zwischen ihr und dem Spiegel noch zwiespältiger geworden. Es gab da eine Haßliebe. Vivian wußte, daß sie den Spiegel brauchte und nicht anders konnte. Er war auch in gewisser Hinsicht ein Helfer und zeigte ihr den Weg zu neuen Ufern, wie sie zumindest hoffte.
Den rechten Arm hob sie an und streckte dabei den Zeigefinger ab, dessen Nagel ein helles Rot zeigte, das perfekt mit der Farbe des Lippenstifts harmonierte.
Vivian Greyson hatte sich nie als Heldin gefühlt. Hier zu stehen und in den Spiegel zu schauen, war für sie schon eine Heldentat. Hinzu kam noch der Versuch, über die Gesichtshaut zu tasten, denn bisher hatte sie es tunlichst vermieden, das Gesicht zu häufig zu berühren.
Der erste Kontakt ließ sie leicht zusammenschrecken. Die Haut war nicht mehr wie früher. Sie hatte sich auch nicht wieder zurückgebildet, sie war viel weicher geworden, nachgiebiger und auch schwammiger. Begriffe wie Gelee und Pudding schössen ihr durch den Kopf, aber sie ließ diesmal nicht locker und drückte die Kuppe stärker gegen die Haut, weil sie dort eine kleine Mulde schaffen konnte.
Das gelang ihr auch – bis sie plötzlich einen Widerstand spürte, mit dem sie nicht zurechtkam.
Er war da, aber er hätte dort nicht sein sollen, denn genau an dieser Stelle unter der Haut befand sich kein Knochen. Sie aber spürte ihn.
Oder war es etwas anderes. Vivian kam damit nicht zurecht, sondern tastete die Umgebung ab, drehte den Finger sogar auf der Stelle und fand überall den gleichen Widerstand. Sie war sicher, daß er sich vor drei Tagen noch nicht dort befunden hatte, und er war sogar ziemlich hart, wie sie fühlen konnte, als hätten sich unter der Haut Platten zu einer Fläche zusammengeschoben, um die Knochen abzulösen.
Es war ein Phänomen, ein sehr böses zudem, und Vivian kam damit nicht zurecht. Sie wollte es auch nicht. Sie hatte keine Lust darauf, sich weiterhin zu betasten, sie verspürte auch keinen Hunger mehr, sie wollte nur weg.
Mit staksig wirkenden Schritten trat sie vom Spiegel zurück. Ihr Gesicht war auch eine starre Maske. Von ihren Augen konnte man ihre Angst ablesen.
Es ging weiter.
Die verfluchte Kosmetik ließ sie einfach nicht los. Sie steckte in ihr und hatte Vivian zu ihrer Sklavin gemacht. Die Frau des Verlegers wußte auch, daß diese seltsame Verwandlung an dem Punkt noch nicht ihr Ende gefunden hatte. Es würde weitergehen mit ihr als Testobjekt und Opfer.
Vivian nahm sich vor, sich zusammenzureißen, und doch sah sie sich selbst als eine Fremde an, als sie sich auf ihren Platz setzte und ihr Mann sie anschaute wie eine Kranke.
»Was ist denn mit dir los, Vivian?«
»Nichts, gar nichts.«
»Doch, es muß etwas passiert sein.«
Vivian schüttelte den Kopf. Sie wagte nicht, ihren Mann dabei anzuschauen.
»Ist es das Brennen?«
»Ja.« Sie nickte.
»Ist es schlimmer geworden? Hast du jetzt Schmerzen?«
Die Frau hob den Kopf an. Sie hatte nicht vermeiden können, daß Tränen in ihren Augen schimmerten. »Sieh mich an, Ron. Fällt dir an mir etwas auf? Sieht mein Gesicht jetzt wieder anders aus? Ich meine, nachdem ich hier wieder Platz genommen habe.«
Der Verleger schüttelte den Kopf. »Nein, Vivian, ganz und gar nicht. Du siehst nicht anders aus. Du bist wie immer. Ich… ich… kann dir da keinen Rat geben. Ich weiß
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