Das Pest-Gewölbe
waren vor die beiden Fenster gezogen worden und ließen so gut wie kein Licht durch, so daß auch der Schein der Gartenlaternen abgehalten wurde.
Schlafen?
Es wäre herrlich gewesen, jetzt einzuschlafen, das aber schaffte sie nicht. Sie lag starr da wie eine Leiche, starrte hoch in die Dunkelheit, ohne die Decke erkennen zu können, und hatte die Hände zu Fäusten geballt.
Ihre Gedanken drehten sich. Sie waren wie Teile eines Kreisels, die durch den Kopf wirbelten, als Bruchstücke davonflogen und nicht wieder zurückkehrten.
Es gelang ihr nicht, sich zu konzentrieren und sich von dem abzulenken, was sie primär beschäftigte.
Es war das Brennen in ihrem Gesicht. Dieses verfluchte Gefühl, diese Hitze. Vivian machte sich nichts vor. Das Brennen auf und unter der Haut hatte sich verstärkt.
Im Dunkeln tastete sie ihr Gesicht ab.
Schon beim ersten Kontakt erwischte sie das tiefe Erschrecken. Es hatte sich etwas verändert, denn sie spürte die Härte des Gesichts direkt unter der Haut. Das war nicht normal.
Es war überhaupt nichts mehr normal.
Plötzlich zitterte die Frau wie Espenlaub. Sie wollte nicht mehr liegenbleiben, richtete sich auf. Sie wollte nach ihrem Mann rufen, sie hätte ihn auch über das Haustelefon erreichen können, aber nichts dergleichen tat sie. Vivian war einfach nicht in der Lage, normal zu reagieren. Sie fühlte sich überhaupt nicht mehr als Mensch, sondern wie eine ferngelenkte Puppe, die auf bestimmte Signale reagierte.
Eine bohrende Angst hatte sie erfaßt. Sie war wie ein Stich mit dem dünnen Messer, das sich tief in ihrem Körper festgesetzt hatte. Das Brennen ließ sich kaum mehr aushalten. Ihr Gesicht war mit Säuredampf besprüht worden, und als sie – noch im Bett sitzend – die Hände dagegenschlug, bewegte sich die Haut unter den Handflächen wie die Pelle eines Puddings hin und her.
Die Frau hatte in den letzten Tagen die Welt schon nicht mehr begriffen, jetzt kam sie sich vor wie an einem Abgrund stehend oder am Ende ihres Daseins.
Und trotzdem erhob sie sich vom Bett. Mit müden Bewegungen stellte Vivian sich hin. In der Dunkelheit glich sie einer schattenhaften Tänzerin, die mit ausgebreiteten Armen versuchte, irgendwo einen Halt zu finden, ohne es allerdings zu schaffen. Sie kannte den Weg, wäre beinahe über die Kante eines Teppichs gestolpert und riß schließlich die Tür zum Bad auf, betrat das Zimmer und lehnte sich im Dunkeln gegen die teuren Wandfliesen. Kein Licht jetzt. Sie wollte sich selbst nicht mehr sehen, weil sie sich auch haßte.
Sie atmete heftig. Die Aigen hatte Vivian geschlossen, aber trotz allem schössen Bilder in ihr hoch, als wären sie aus der Düsternis einer anderen Welt in die Höhe gedrückt worden.
Schlimme Bilder…
Ein Verließ, eine Höhle, ein Gang, ein unheimliches Gewölbe, in dem das Grauen lauerte. Und sie sah unter einem von Düsternis erfüllten Torbogen eine Gestalt stehen, deren nackter Körper silbrig schimmerte.
Da war sie wieder.
Kalt grinsend, mit weißen, bleichen Augen und zahlreichen Löchern im Körper, aus denen etwas Rotes hervorgequollen war und sich an den Innenrändern festgesetzt hatte.
Altes Blut, das auch so stank.
Der Geruch drang in Vivians Nase. Sie spie aus, und der Druck stieg von ihrem Magen aus immer höher, weil er sich in der Kehle festsetzen wollte.
Er behinderte sie beim Atmen. Die Brust wurde von innen und von außen zusammengepreßt. Die Dunkelheit war für Vivian zu einem Feind geworden, den sie verschwinden lassen mußte.
Deshalb schaltete sie das Licht ein.
Nicht das grelle Oberlicht, sondern die beiden Lampen an der Wand. Sie reichten aus, um das Bad zu erhellen, und Vivian betrachtete sich wieder im Spiegel. Ihr gesamter Körper war dort abgebildet, so konnte sie genau nachvollziehen, wie mühsam sie sich bewegte.
Die Frau hatte sich dem Spiegel zugedreht. Es ging einzig und allein um ihr Gesicht. Aus der Ferne sah es noch normal aus, in der Nähe erkannte sie jedoch, daß es sich verändert hatte.
Das ist nicht wahr, dachte sie. Meine Güte… lieber Gott, laß es nicht wahr sein!
Die Gedanken der Furcht durchschossen ihren Kopf. Als wollte Vivian sich selbst quälen, trat sie näher an den Spiegel heran und beobachtete sich selbst dabei.
Es stimmte!
Verflucht noch mal, es stimmte einfach alles. Vivian schwankte zwischen Beten und Fluchen, denn dieser Spiegel war einfach gnadenlos und so brutal.
Ihre Haut hatte sich auf eine furchtbare Art und Weise verändert. Sie
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