Das Pestkind: Roman (German Edition)
füllte.
»Schon gut«, versuchte Albert, den Mann zu beruhigen. »Wir sind ja da. Du bist nicht allein.«
Claude reichte ihm das Wasser, und Albert flößte es dem Verletzten ein. Der Soldat ließ seinen Kopf zurücksinken und stöhnte, den fiebrigen Blick flehend auf Albert gerichtet. Claude sah den Mann mitleidig an.
»Lange wird es nicht mehr dauern«, flüsterte er und strich dem Verletzten behutsam über das gesunde Bein.
Albert stellte den Becher auf den Boden.
»Für uns alle wird es nicht mehr lange dauern.«
Claude setzte sich wieder auf den Strohhaufen und schlug hart mit dem Hinterkopf gegen die Wand.
»Und ich wollte zurück in die Normandie, nach Hause. Wie dumm ich doch gewesen war, zu glauben, diesen Krieg heil zu überstehen. Einen Krieg, der kein Ende kennt und alles tötet, was sich ihm in den Weg stellt.«
Albert setzte sich neben ihn. Er wusste nicht, was er auf die Worte seines Freundes antworten sollte. Lange Zeit sagte niemand etwas, nur das Jammern ihres verletzten Kameraden erfüllte den Raum, bis es immer leiser wurde und irgendwann ganz verstummte.
Claude kroch zu ihm hinüber und legte seine Hand auf die Brust des Kranken.
»Er atmet nur noch flach, bald hat er es hinter sich.«
Albert schaute entmutigt zu der vergitterten Luke hinauf. »Dann wird er wenigstens nicht mehr aufs Schafott geschleift und muss diese Erniedrigung nicht erleben.«
»Die wir erleben müssen«, vervollständigte Claude den Satz und suchte den Puls des Mannes am Hals.
»Er ist tot.«
»Möge Gott seiner Seele gnädig sein.« Albert schloss die Augen des Toten.
Ein Geräusch an der Zellentür ließ die beiden aufhorchen. Klappernd wurden Schlüssel ins Schloss gesteckt, und ein kleiner Junge schob seinen Kopf durch die Tür.
Albert sah den Knaben verwundert an. Er kannte ihn, konnte aber nicht sagen, woher. Der Junge ließ seinen Blick durch die Zelle schweifen und sah Albert durchdringend an. Da fiel es dem Schweden schlagartig wieder ein. Diese blauen Augen, die so viel Mut und Selbstvertrauen ausstrahlten, gehörten zu dem mutigen Knaben in Aibling, der seine Schwester beschützt hatte.
Ein breites Grinsen zeigte sich auf dem Gesicht des Jungen.
»Ihr wisst also, wer vor Euch steht?«
»Wie könnte ich das jemals vergessen«, erwiderte Albert. »Aber wie kommst du hierher, Junge?«
»Nachdem ihr fort wart, habe ich mich den Kaiserlichen angeschlossen, um den Tod an meinem Vater zu rächen. Ich bin fleißig und bereits Stückknecht.«
Albert nickte.
»Damals hast du bereits Mut bewiesen. Viele andere hätten ihre Schwester im Stich gelassen. Aber sag, was führt dich zu uns in die Zelle?«
Der Junge blickte von Albert zu Claude und dann auf den Mann am Boden.
»Ich vergesse nichts. Ich habe Euch gesehen, wie Ihr durch die Straßen geführt und gedemütigt worden seid. Ich bin Euch gefolgt und habe genau aufgepasst, wo Ihr eingeschlossen wurdet.« Triumphierend hielt er die Schlüssel hoch. »Die habe ich eben dem alten Bernhard gestohlen. Er wird nie lernen, die Finger vom Wein zu lassen.«
Albert sah den Jungen überrascht an.
»Du willst uns zur Flucht verhelfen?«
Der Junge grinste verschmitzt.
»Eine Hand wäscht die andere, hat mein Vater immer gesagt. Meine Schwester und ich wären heute nicht mehr am Leben, wenn Ihr uns verraten hättet.« Er blickte sich um. »Lasst uns jetzt verschwinden, denn Bernhard wird nicht ewig schlafen.«
Sie verließen die Zelle und schlichen den engen, von Fackeln erleuchteten Flur entlang und an dem alten Bernhard vorbei, der schnarchend auf seinem Stuhl saß.
Dann ging es eine Wendeltreppe nach oben. An deren Ende bedeutete der Junge ihnen zurückzubleiben. Vorsichtig blickte er nach draußen und winkte danach Claude und Albert näher heran. Sie schlichen im Schatten der Hauswand über den vom Mondlicht erhellten Hof. Wachen waren keine zu sehen. Der Junge führte sie in eine enge Kammer, in der auf einem Bett zwei einfache Hemden und Kniehosen lagen. Albert sah ihn verwundert an.
»Du hast unsere Flucht aber sehr gut geplant.«
Der Junge grinste.
»Wenn Ihr in Euren zerschlissenen, auffälligen Kleidern hier herausspaziert, dann kommt Ihr gewiss nicht weit. Aber jetzt macht schnell, denn bald ist Wachablösung, und bis dahin muss ich Bernhard die Schlüssel zurückgebracht haben.«
Eilig schlüpften Albert und Claude in die Kleider und folgten dem Jungen auf den Hof, an der Mauer entlang und dann in einen kleineren Hof. Der Knabe führte sie
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