Das Pestkind: Roman (German Edition)
vergiftet, hat der Pfarrer gesagt. Trinkt nicht davon, sondern geht lieber schnell weiter.«
Elise, Justus und Caspar ließen sich das nicht zweimal sagen. Der kleine Junge lachte laut auf, während sie die Beine in die Hand nahmen, um schleunigst fortzukommen. Die Einzige, die einen Moment zögerte, war Marianne.
Verwundert sah der alte Mann sie an, und auch der Junge stand jetzt ganz still. Diese Frau faszinierte ihn. Sie schien es nicht eilig zu haben wie all die anderen Wanderer, und in ihre Augen trat nicht diese ganz besondere Art von Furcht, die die Worte »Schwarzer Tod« sonst bei den Menschen auslösten.
Ruhig blieb sie neben dem alten Mann stehen und legte ihm sogar eine Hand auf den Arm.
»Habt Dank für Eure Warnung. Könnt Ihr mir trotzdem sagen, ob auf dem Weg ein Gasthaus liegt? Die Nächte im Wald sind sehr kalt und voller Gefahren, und wir haben noch ein ganzes Stück vor uns.«
Verblüfft sah der alte Mann Marianne an. Doch dann nickte er und deutete in die Richtung, in die die anderen verschwunden waren.
»Einfach nur der Straße folgen. Bis zum Abend müsstet Ihr ein größeres Waldstück erreicht haben, wenn Ihr dann den rechten Weg einschlagt, kommt Ihr an ein Gasthaus.«
»Vielen Dank«, erwiderte Marianne, wandte sich zum Gehen und strich im Vorbeigehen dem lustigen Knaben über den Kopf.
»Dir auch Dank für deine Hilfe. Und gib auf dich acht.«
Der Junge nickte schweigend. So viel Mut machte auch ihn sprachlos. Der alte Mann legte dem Jungen den Arm um die Schultern und blickte Marianne nachdenklich hinterher.
»Sie hat ihn schon gesehen, den Schwarzen Tod. Und sie weiß genau, dass er ihr nichts tun wird.«
*
Als die Dämmerung hereinbrach, erreichte die Gruppe tatsächlich den Wald und die angekündigte Weggabelung. Caspar blieb mitten auf der Kreuzung stehen und blickte skeptisch auf den schmalen Pfad, der angeblich zu dem Gasthaus führen sollte. Er hielt nicht viel davon, allzu weit von der Straße abzuweichen, und dieser wenig befahrene Weg machte keinen besonders einladenden Eindruck.
»Und der Alte hat wirklich gesagt, dass dort ein Gasthaus liegt?« Marianne nickte.
»Ja, das hat er gesagt. Wir sollten uns am Waldrand rechts halten, dann würde ein Gasthaus kommen.«
»Und was ist, wenn dort kein Gasthaus ist und wir zu weit vom Weg abkommen?«
Justus schlug sich auf Mariannes Seite. Auch er zog eine Nacht in einer warmen Wirtsstube dem dunklen Wald vor.
»Lasst uns doch wenigstens nachsehen. Welchen Grund sollte der Alte gehabt haben, uns anzulügen?«
Caspar gab nach. »Also gut, aber wenn dort nicht bald ein Gasthaus auftaucht, dann gehen wir wieder zurück.«
Sie wandten sich also nach rechts, und tatsächlich schimmerten bereits hinter der ersten Kurve Lichter durch die kahlen Bäume. Das Gasthaus entpuppte sich als alte Mühle, die bereits vor einer Weile stillgelegt worden war. Einige Pferde standen in dem weitläufigen Hof an einer Tränke, auf dem gackernde Hühner die Neuankömmlinge begrüßten. Der Duft von frisch gebackenem Brot hing in der Luft, der sie alle daran erinnerte, dass sie den ganzen Tag über nichts gegessen hatten. Vom Hunger getrieben, steuerte die Gruppe freudig den Eingang des Wirtshauses an, und sogar Caspar hatte jetzt ein Lächeln auf den Lippen.
Im Gastraum saßen zwei Männer vor einem großen, offenen Kamin und beschäftigten sich mit einem Würfelspiel, und hinter der Theke stand ein dickliches Mädchen mit blondem strähnigem Haar und einer großen roten Narbe auf der Wange. Sie trug ein eng anliegendes, weit ausgeschnittenes Kleid, das Marianne an Margit erinnerte.
»Neue Gäste«, rief sie nach hinten und würdigte die vier dann keines Blickes mehr. Etwas ratlos schauten sich Marianne und die anderen um. Gastfreundschaft sah in ihren Augen anders aus. Doch dann öffnete sich hinter der Frau die Tür, und ein großer, stämmiger Mann, der sogar Caspar überragte, betrat die Stube, begrüßte sie mit einem herzlichen Lächeln und deutete eifrig auf einen Tisch unweit des Kamins.
»Ihr seht müde und hungrig aus. So setzt Euch doch.«
»Bring den Leuten warmes Bier, Alma«, rief er dem Mädchen zu.
Die vier setzten sich an den Tisch.
»Wo kommt Ihr denn her?«, fragte der Wirt neugierig und ließ seinen Blick wohlwollend über Marianne und Elise schweifen.
»Aus der Nähe von Fürstenfeldbruck«, erwiderte Justus und warf Caspar einen warnenden Blick zu. Darüber, dass sie im Heer der Schweden gedient hatten, sollten
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