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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Markt, aus der Stadt hinaus und zum Fluss zu gelangen, wo sie Anderl vermutete. Doch sie blieb im Getümmel stecken.
    Das Kreischen des Jungen tat ihr in der Seele weh. Der Henker stand, eine schwarze Stoffhaube über dem Kopf, auf dem Schafott und wartete darauf, bis seine beiden Gehilfen es geschafft hatten, die rechte Hand des Diebes auf einem Holzstumpf festzubinden. Immer noch versuchte der Knabe, der kaum älter als vierzehn Jahre zu sein schien, sich zu wehren, aber es half alles nichts. Der Henker trat vor, holte aus und schlug zu. Ein Raunen ging durch die Menge. Der Junge schrie laut auf und brach ohnmächtig zusammen, kippte nach vorn in sein eigenes, aus dem Stumpf spritzendes Blut.
    Marianne drehte sich angewidert um und schob sich hastig weiter durch die Menge. Kurz bevor sie das Mittertor erreichte, stolperte sie über einen Holzeimer, versuchte mit rudernden Armbewegungen, das Gleichgewicht zu halten, und traf dabei eine Frau mittleren Alters im Gesicht.
    Grob stieß die korpulente Frau Marianne von sich, so dass sie stürzte. Sofort waren viele Augen auf sie gerichtet.
    »Da sieh mal einer an, was sich hier herumtreibt. Das Balg der Thalerin. Dich hätte man auch gleich mit umbringen sollen, besser wäre es gewesen.« Die Frau sah Marianne hasserfüllt an.
    In Marianne stieg Panik auf. Wieso musste sie ausgerechnet Lydia Drechsler in die Arme laufen, der Frau, die sie von allen Menschen dieser Stadt am meisten verabscheute.
    »Ich sage es immer wieder«, keifte die Alte weiter, »sie ist verhext und hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Wir sollten sie gleich hochbringen lassen, auf einen mehr oder weniger kommt es jetzt doch auch nicht mehr an.«
    Die anderen begannen zu tuscheln und sahen Marianne, die sich aufrappelte und ihre feuchten Hände am Rock abwischte, skeptisch an.
    Lydia Drechslers Augen funkelten boshaft.
    »Am Ende trägt sie die Schuld daran, dass die Schweden uns bedrohen, nicht wahr? Das Unglück bringst du über die Stadt.«
    Um Marianne hatte sich ein Kreis Neugieriger gebildet, und sie wurde wie eine Marionette von einem zum anderen geschubst.
    »So hört doch auf«, versuchte sie, sich zu verteidigen. »Bitte, lasst mich in Ruhe. Ich habe nichts getan.«
    Lydia kam jetzt richtig in Fahrt.
    »Nichts getan? Schon lange steckst du mit dem Bösen unter einer Decke. Das Wunder von Kieling, ein Geschenk Gottes, dass ich nicht lache. Ich sage euch: Glaubt nicht, was uns die Mönche weismachen wollen, denn ich sehe die Niedertracht und die Lüge in ihren Augen. Sie allein ist der Grund, warum wir alle bald sterben werden.«
    Erneut fiel Marianne hin. Selbst die Tatsache, dass der Angeklagte auf dem Schafott nun gehängt wurde, hielt die Menschen nicht davon ab, sie lautstark zu beschimpfen. Einige hoben bereits die Fäuste. Rückwärts kriechend versuchte sie, dem Pöbel zu entkommen. Doch dann durchbrach eine laute dunkle Stimme das Treiben.
    »Hört sofort auf damit! Was denkt ihr euch dabei?« Lydia blieb ihre nächste Beschimpfung im Hals stecken. Alois Greilinger stand vor dem keifenden Weib und sah sie wütend an.
    »Was hat dir Marianne getan, Drechslerin, weshalb du sie derart beschimpfen musst? Bist du nicht ganz bei Trost?«
    »Aber«, versuchte sie, sich zu rechtfertigen, während sich der Rest des Pöbels eilig zerstreute. Vor dem großen, kräftigen Schiffsmeister hatten sie alle Respekt.
    »Kein Aber«, erwiderte er barsch. »Verschwinde endlich, du Tratschweib.«
    Lydia gab nach. Sie zog sich zurück und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Schafott, wo der Angeklagte, nach Luft ringend und mit vorquellenden Augen, am Galgen hing. Sein Genick war nicht gebrochen. Alois half Marianne aufzustehen.
    »Geht es dir gut?«
    Marianne wischte sich nervös über ihr verdrecktes Kleid.
    »Ja, ich denke schon. Danke.« Trotz der Erleichterung über die unverhoffte Hilfe standen ihr Tränen in den Augen.
    Alois trat ein Stück näher an sie heran und hob ihr Kinn an.
    »Nur weil manche nicht verstehen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die anders sind, glauben sie immer gleich an das Böse. Der Fluss ist auch immer anders und sieht nie gleich aus, manchmal ist er unser Freund, aber oft auch unser Feind. Doch deshalb verurteilen wir ihn nicht.«
    Marianne schaute den Mann, den sie bisher nur aus der Ferne gesehen hatte, verwundert an.
    »Pass auf dich auf, Kleines.« Sanft strich er über ihre Wange. »Ich kann nicht immer zur Stelle sein, um dich zu

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