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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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in der Küche gespürt, dass diesmal alles anders gewesen war. Mutter und Marianne hatten immer schon miteinander gestritten, und Marianne war oft verprügelt worden, doch Mutter hatte Marianne noch nie auf diese Art hinausgeworfen. Und der Blick von Marianne hatte etwas Endgültiges gehabt. Seine geliebte Schwester war gegangen und hatte ihn zurückgelassen. Sie tröstete ihn, wenn er traurig war, brachte ihn zum Lachen und versteckte sich mit ihm, wenn es Ärger gab. Nur sie verstand ihn wirklich, sogar noch besser als Theo.
    Es hatte wieder zu regnen begonnen. Das sanfte Rauschen beruhigte ihn, und er sank in einen unruhigen Schlaf.
     
    Er stand am Ufer des Inns und sah den Schifffahrern bei der Arbeit zu. Die Männer waren gerade mit dem Beladen der Kähne beschäftigt. Es war ein warmer, sonniger Tag, keine einzige Wolke zeigte sich am Himmel, und sanfte Wellen ließen die Boote schaukeln. Sehnsüchtig beobachtete Anderl die Männer. So gern wäre er einer von ihnen, doch auch heute getraute er sich nicht, hinüberzugehen und die Männer zu fragen, ob sie ihn mitnehmen würden. Er kannte die Antwort bereits. Wer wollte schon einen dummen Jungen, der nur im Weg herumstand.
    Plötzlich tauchte Marianne mit dem Schiffsmeister Alois Greilinger neben ihm auf und lächelte ihn freudig an.
    »Du darfst mitfahren, hat Alois gesagt. Ich habe gefragt, ob sie dich mitnehmen würden, denn das ist doch dein großer Traum.« Der kräftige Mann nickte.
    »Einen guten Schiffsjungen, der anpacken kann, können wir immer gebrauchen.«
    Er musterte Anderl von oben bis unten.
    »Du kannst doch hart arbeiten, oder?«
    Anderl nickte eifrig.
    »Ja, ich tue alles.«
    Alois Greilinger deutete auf die Boote.
    »Dann mach dich an die Arbeit, denn wir legen bald ab.« Strahlend sah Anderl Marianne an.
    »Ich darf mitfahren.« Übermütig hob er sie in die Höhe und drehte sich mit ihr im Kreis.
    »Siehst du«, antwortete sie lachend, »jetzt ist es gar nicht mehr so schlimm, mich nicht mehr bei dir zu haben.«
     
    Margits laute Rufe rissen Anderl wenig später aus dem Schlaf.
    »Anderl! Hedwig sagt, du sollst sofort runterkommen. Anderl! Hörst du mich? Mach schnell, ehe sie noch wütender wird.«
    Anderl setzte sich auf und schaute zur Tür. Es war dunkel im Zimmer. Er musste eine ganze Weile geschlafen haben. Erneut erklang Margits Stimme.
    »Anderl! Jetzt mach schon. Am Ende verprügelt sie mich noch.«
    Missmutig kletterte er aus dem Bett. Noch immer sah er seinen Traum vor sich, und plötzlich wusste er, was er zu tun hatte. Marianne hatte ihm den Weg gezeigt. Er war nicht klug, aber hart arbeiten, das konnte er. Gleich morgen würde er zum Inn laufen und sehen, ob dort Schiffe am Ufer lagen.
    Von der Idee beflügelt, riss er die Tür auf und rannte die Treppe hinunter. Endlich wusste er, was er im Leben tun wollte. Verdutzt sah Margit ihm hinterher. So hatte sie Anderl noch nie erlebt.
    Hedwig stand im Hof und fütterte die drei neu erstandenen Hühner, die sie Bauer Mooslechner mit viel gutem Zureden und im Tausch gegen zwei Fässer Bier abgeschwatzt hatte. Sie sah ihren Sohn wütend an.
    »Wo steckst du die ganze Zeit? Denkst wohl, die Arbeit macht sich von allein. Margit kommt kaum mit dem Bedienen nach, und du bummelst herum. Aber das sage ich dir, das hört jetzt auf.«
    Sie hob drohend die Hand, hielt ihm dann aber den Eimer mit dem Futter hin.
    »Füttere die Hühner, damit du heute überhaupt noch etwas Sinnvolles tust.«
    Anderl nahm ihr den Eimer ab. Aber als sie an ihm vorbeigehen wollte, sagte er:
    »Mutter, warte bitte.«
    Verwundert blieb sie stehen, sie war es nicht gewohnt, von ihrem Sohn angesprochen zu werden.
    »Ich werde morgen zu den Schifffahrern gehen.« Er blickte ihr ins Gesicht.
    Hedwig riss die Augen auf. Zuerst wusste sie nicht, was sie erwidern sollte, doch dann begann sie schallend zu lachen.
    »Zu den Schifffahrern, du, mein Junge. Und du glaubst ernsthaft, dass sie dich Tölpel mitnehmen?«
    Anderl reckte stur das Kinn vor und nickte.
    Hedwig hatte sich wieder beruhigt und sah ihn herablassend an.
    »Lern es doch endlich, Junge. Niemand will dich haben, denn du bist nicht ganz richtig im Kopf. Ich bin schon gestraft genug mit dir.«
    Anderl wurde wütend. »Ich werde gehen!« Er stampfte mit dem Fuß auf.
    Hedwig hatte genug von ihrem aufmüpfigen Sohn. Sie ärgerte sich immer noch über den Vorfall mit Marianne und hatte keine Lust, weiter zu diskutieren.
    »Und ich habe gesagt: Du bleibst hier!«

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