Das Pestkind: Roman (German Edition)
breit nichts zu sehen gewesen. Jetzt hoffte er, Marianne anzutreffen.
Er atmete erleichtert auf, als er sie, auf einer Bank sitzend, im Hinterhof entdeckte. Marianne war blass, tiefe Schatten lagen unter ihren Augen, und ihr Kleid war mit Schlamm besudelt.
Sie blickte nicht auf, auch nicht, als er näher trat.
Er setzte sich neben sie.
»Mein Kind, wie wunderbar, es geht dir gut. Ich habe mir solche Vorwürfe gemacht.«
Marianne sah den Abt teilnahmslos an.
»Uns ist nichts geschehen.«
Pater Franz wäre am liebsten bei ihr geblieben, aber auf dem Friedhof hatte ihn die Nachricht erreicht, er solle noch zu einer außerordentlichen Sitzung der Amtsräte am selben Abend im Rathaus erscheinen. Er war spät dran, gewiss hatte diese bereits begonnen.
Prüfend sah er sie an.
»Und ihr kommt wirklich allein zurecht? Wo ist denn Anderl?«
Marianne deutete zur Tür.
»Oben.«
Der Abt, der ihre Einsilbigkeit nicht gewohnt war, sah sie besorgt an.
»Ich werde morgen ein paar Mönche vorbeischicken, die euch beim Aufräumen helfen. Ich muss leider wieder gehen, denn dringende Geschäfte warten.«
Marianne erwiderte nichts, ihr Blick ging weiterhin ins Leere.
Er drückte zum Abschied ihre Hand.
»Ich weiß, es ist nicht leicht. Versuche, ein wenig zu schlafen.«
Eiligen Schrittes schlug er den Weg zum Rathaus ein. Nur noch wenige Leute waren unterwegs, wären nicht die Holztrümmer, eingeschlagenen Scheiben und der Brandgeruch gewesen, es hätte so ausgesehen wie immer.
Hastig betrat er den breiten Flur, den ein beeindruckendes Steingewölbe überspannte, und lief die weitläufige Holztreppe hinauf in den ersten Stock, in dem sich der Sitzungssaal befand.
In dem holzvertäfelten Saal saßen bereits alle Amtsräte, der Bürgermeister und der Büttel an einem großen Tisch beisammen, auf dem mehrere Bierkrüge und Becher standen. Der Bürgermeister hatte die Sitzung gerade eröffnet und schaute missbilligend zur Tür, als Pater Franz mit entschuldigender Miene eintrat und leise Platz nahm. Er warf dem Mönch einen strafenden Blick zu und setzte seine Rede fort.
»So, wie ich es sehe, war dies noch nicht alles, womit wir rechnen müssen. Ich habe bereits aus anderen Dörfern und Gemeinden gehört, dass die ersten Überfälle eine Warnung sein sollen, damit die Städte wissen, was ihnen blüht.«
Unruhe kam unter den Männern auf. Der Bürgermeister hob beschwichtigend die Hände.
»Meine Herren, lasst mich erklären. Unser geschätzter Büttel, August Stanzinger, hat mir heute Mittag davon berichtet, dass sich viele Städte nach dem ersten Überfall freigekauft hatten.« Er sah Stanzinger auffordernd an.
Der Büttel erhob sich räuspernd.
»Das ist richtig. Einige Dörfer konnten sich ihre Sicherheit bereits erkaufen. Warum sollte uns das nicht gelingen? Als Vermittler treten in der Regel Geistliche auf, die General Wrangel meistens akzeptiert. Ich denke, wir sollten die Mönche des Kapuzinerklosters mit dieser Aufgabe betrauen. Die Rosenheimer Bürger sind nicht arm und werden gewiss einen hohen Preis für ihre Sicherheit bezahlen.«
Einer der Amtmänner warf ein:
»Was ist, wenn Wrangel unser Angebot zu niedrig ist?«
August Stanzinger warf dem Mann einen strafenden Blick zu.
»Dann können wir wahrscheinlich nur beten. Also sollten wir schleunigst alles Notwendige in die Wege leiten und einen Boten ins schwedische Lager nach Wasserburg senden. Am besten natürlich einen Eurer Mönche, lieber Pater Franz.«
Der Abt fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Unsicher erhob er sich und ergriff das Wort.
»Wenn ich Euch richtig verstanden habe, soll sich das Kloster um die Angelegenheit kümmern.«
Der Bürgermeister nickte und wischte sich trotz der Kühle im Raum mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn.
»Wir werden Euch natürlich, soweit es geht, unterstützen. Aber ich stimme Stanzinger zu. Es wird am besten sein, wenn wir die Angelegenheit vollständig in Eure Hände legen. Vor Euch haben die Rosenheimer Respekt, und gewiss ist es besser, wenn ein belesener und christlicher Mensch wie Ihr die Verhandlungen mit den Schweden übernimmt, allein schon, was den Briefverkehr betrifft.«
Pater Franz sah den Stadtbüttel zweifelnd an.
»Und Ihr denkt wirklich, die Sache könnte klappen?«
August Stanzinger zuckte mit den Schultern.
»Wenn das nicht funktioniert, dann gnade uns Gott.«
A m nächsten Morgen saß Marianne allein in der vollkommen zerstörten Gaststube. Nur ein Stuhl war heil geblieben,
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