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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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zu ziehen, doch er bewegte sich kaum. Erschöpft gaben sie irgendwann auf.
    »So wird das nie was. Er ist viel zu schwer.« Margit griff sich stöhnend an den Rücken und sah Marianne, die keuchend neben ihr saß, besorgt an. »Du siehst ganz blass aus, Marianne. Geht es dir gut?«
    »So gut, wie es möglich ist.« Marianne zeigte zur Tür.
    Margit seufzte.
    »Ich bin so froh, dass du lebst. Ich habe Anderl und dich nicht mehr gesehen. In der Kirche, es war …«
    »Wir haben uns im Keller der Sakristei versteckt«, unterbrach Marianne sie.
    »Also geht es Anderl gut?«
    »Er ist oben und schläft.« Marianne deutete zur Treppe. »Ich habe es noch nicht fertiggebracht, ihn zu wecken. Es war alles zu viel für ihn.«
    »Für wen war es das nicht?« Tränen traten in Margits Augen.
    Marianne wusste, dass sie sich jetzt eigentlich danach erkundigen müsste, wie es Margits Familie ergangen war, aber noch eine schlimme Nachricht konnte sie im Moment nicht verkraften. Es gab sicher einen guten Grund dafür, weshalb Margit ausgerechnet jetzt hier aufgetaucht war.
    »Wollen wir es noch einmal versuchen?«, fragte sie. Margit nickte.
    Sie zogen erneut mit vereinten Kräften. Doch wieder schien sich der Mann kaum zu bewegen. In dem Moment, als sie aufgeben wollten, kam ihnen Anderl zu Hilfe. Dankbar sah Marianne ihren Stiefbruder an. Zu dritt schafften sie den schweren Körper in den Hof und legten ihn zwischen die aufgescheuchten Hühner, die gackernd im Schlamm nach etwas Essbarem suchten und es irgendwie geschafft hatten, am Leben zu bleiben.
    Als sie danach in die Küche zurückkamen, fiel Mariannes Blick auf den Topf mit dem Haferbrei, und erst jetzt bemerkte sie, wie hungrig sie war.
    »Was haltet ihr davon, wenn ich uns den Haferbrei warm mache und wir etwas essen?« Anderls Magen antwortete noch vor Margit mit einem lauten Knurren, und zum ersten Mal seit vielen Stunden mussten alle drei lachen.
    Wenig später saßen sie gemeinsam am Küchentisch und aßen gierig den warmen Brei, den Marianne mit viel Honig verfeinert hatte. Die warme Mahlzeit tat gut. Die vertraute Umgebung und der Geruch des Holzrauchs belebten Mariannes Sinne. Margit legte als Erste ihren Löffel weg, lehnte sich mit einem tiefen Seufzer zurück und schloss die Augen. Marianne betrachtete sie nachdenklich. Margit trug noch immer dasselbe Kleid wie vor zwei Tagen. Es war schmutzig und voller Schlammspritzer. Ihr Haar war zu einem Zopf geflochten, aus dem sich einige Strähnen gelöst hatten, die ihr wirr ins Gesicht hingen, und ihre Wangen waren leicht gerötet. Sie sah heute nicht wie das fröhliche Wirtshausmädchen aus, das sich wie eine Dirne verhielt, sondern wirkte zerbrechlich und erschöpft.
    »Sie sind alle tot«, flüsterte sie plötzlich, und Marianne zuckte zusammen.
    »Wer ist tot?«, fragte Anderl, der gerade dabei war, seinen dritten Nachschlag aus dem Topf zu löffeln.
    Margit öffnete die Augen.
    »Alle.« Weiter kam sie nicht. Die Tür zur Küche wurde aufgerissen, und August Stanzinger betrat gemeinsam mit dem blonden Mann, mit dem Marianne ihn in der Gaststube gesehen hatte, und zwei weiteren Männern die Küche.
    Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und schaute dann Anderl an.
    »Anderl Thaler. Ich nehme dich fest. Du stehst unter Verdacht, deine Mutter erschlagen zu haben.«
    Marianne erstarrte. Ihr Blick wanderte von dem blonden Mann zum Büttel und wieder zurück. Die beiden anderen Männer machten einige Schritte auf Anderl zu. Sofort sprang sie auf und stellte sich schützend vor ihren Stiefbruder.
    »Wer behauptet, er hätte sie erschlagen?«, fragte sie selbstbewusst, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den blonden Mann.
    »Geh aus dem Weg, Mädchen.« Der Büttel sah Marianne wütend an.
    »Es gibt einen Zeugen, der alles beobachtet hat.«
    Marianne wurde von einem der Männer zur Seite geschubst. Doch so schnell wollte sie sich nicht geschlagen geben. Die beiden Männer griffen nach Anderls Armen und zogen ihn von der Bank hoch. Verzweifelt ging sie erneut dazwischen, doch einer der Männer schlug ihr ins Gesicht. Sie fiel zu Boden, schwarze Flecken tanzten vor ihren Augen, und ihre Wange glühte.
    Wütend rappelte sie sich wieder auf. Sie durften ihr Anderl nicht wegnehmen, war er doch die einzige Familie, die sie noch hatte. Er hatte seine Mutter, obwohl sie ihn hasste, geliebt, niemals hätte er sie umgebracht. Verzweifelt sah sie die Männer an. Hilfesuchend blickte Anderl Marianne an. Er

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