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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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eilte er zur Tür und zog Marianne herein.
    »Marianne, Kind! Was ist geschehen? Du bist ja ganz nass und eiskalt. Was treibt dich denn bei diesem schrecklichen Wetter hierher?«
    Marianne fiel dem Mönch schluchzend um den Hals.
    »Anderl!«, murmelte sie in seine Kutte. »Sie haben ihn geholt.«
    Pater Johannes schob Marianne behutsam von sich.
    »Wer hat Anderl geholt?«
    Sie zog schniefend die Nase hoch.
    »Der Büttel. Er behauptet, Anderl hätte Hedwig erschlagen.«
    Pater Johannes wurde blass.
    »Aber das ist doch unmöglich. Wir werden gleich zu Franz gehen und es ihm sagen. Gewiss ist alles nur ein Irrtum.« Tröstend strich er über ihre Schulter. »Jetzt hole ich dir erst einmal eine Decke, und du trinkst etwas Warmes.« Er versuchte, aufmunternd zu klingen, obwohl sich in seinem Hals ein dicker Kloß bildete.
    »Du wirst schon sehen, bestimmt ist Anderl bald wieder frei. Der Junge kann doch keiner Fliege was zuleide tun.«
     
    Wenige Minuten später saß Marianne weinend in Pater Franz’ Büro. Der Abt hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und lief kopfschüttelnd auf und ab.
    »Das ist eine harte Anschuldigung«, murmelte er. »Eine wirklich schlimme Sache.«
    Pater Johannes stand neben der Tür und runzelte besorgt die Stirn. Der Abt blieb vor ihm stehen und sah ihn fragend an.
    »Was hältst du davon, mein Freund?« Pater Johannes schaute Franz schweigend in die Augen. Er bedachte seine Antwort gut, wollte er doch Marianne nicht beunruhigen.
    »Wenn es einen Zeugen gibt, wird es schwer werden. Wie wollen wir das Gegenteil beweisen? Anderl ist an dem Abend mit einer Wunde am Kopf hier aufgetaucht. Was tatsächlich geschehen ist, weiß niemand.«
    Marianne sprang auf.
    »Er war es nicht! Niemals! Das ist doch alles ein Hirngespinst. Eine List, damit sie an die Brauerei kommen. Ich habe es Euch doch erzählt. Der Büttel und der andere, sie haben es geplant!«
    Pater Franz hob beruhigend die Hände.
    »Wir sagen ja nicht, Anderl wäre schuldig. Wir müssen nur überlegen, ob wir das Gegenteil beweisen können. Der Büttel ist ein mächtiger Mann in Rosenheim. Weiß Gott, ich habe auch meine Dispute mit ihm und bin nicht immer seiner Meinung, aber gegen ihn zu arbeiten, das wird gerade jetzt, wo ich auf seine Hilfe und Mitarbeit angewiesen bin, schwer werden.«
    Marianne setzte sich verzweifelt auf ihren Stuhl.
    »Und ich kann sowieso nichts tun, denn mir wird niemand glauben.«
    Sie schloss die Augen und sank in sich zusammen. Erschöpfung und Kälte forderten ihren Tribut.
    Pater Johannes nickte seinem Freund zu.
    »Ich denke, wir haben jetzt erst einmal genug gehört. Du frierst, Kind. Ich werde dich jetzt in eine der Gästekammern bringen und dir trockene Sachen bereitlegen. Morgen früh sieht die Welt bestimmt wieder ganz anders aus.«
    Behutsam griff der alte Mönch nach ihren Händen, zog sie vom Stuhl hoch und führte sie aus dem Raum.
     
    Später am Abend saß Pater Franz in seiner kargen Zelle und blickte auf die flackernde Kerze auf seinem Nachttisch. Langsam wuchsen ihm die Sorgen und Probleme über den Kopf. Die Schweden, die immer noch vor der Stadt lauerten, wollten ihm nicht aus den Gedanken weichen. Er sollte mit einem Mann verhandeln, der den Ruf hatte, grausam und eiskalt zu sein. Ihn schauderte. Inzwischen hatte auch er davon gehört, wie sich andere Städte bei Wrangel freigekauft hatten. Doch ob sich eine Heimsuchung der Stadt wirklich durch die Übergabe von Gold und Wertgegenständen verhindern ließ, bezweifelte er, denn Rosenheim war wohlhabend, der Salz- und Getreidehandel florierte trotz des Krieges, und die vielen Boote trugen zu den guten Einnahmen bei. Wrangel könnte zu gierig werden und trotz ihres Angebotes über sie herfallen. Aber versuchen würde er es auf jeden Fall, auch wenn ihm jetzt schon davor graute, dem Schweden gegenüberzutreten. Das hatten sich die Herren Amtsräte und der Büttel fein zurechtgelegt, die Verantwortung ihm zuzuschieben.
    Er stand auf, verschränkte die Hände auf dem Rücken, blieb seufzend vor dem Fenster stehen und blickte zu den im Dunkeln liegenden Gästekammern hinüber.
    Marianne war wie seine Tochter. Ein Kind, das Gott ihm geschenkt hatte – und heute auch eine Bürde. Eigentlich, wenn er es genau nahm, war sie ihm schon lange eine Last. Eine liebe Last, die er gern trug. Doch allmählich wurde sie ihm zu schwer. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Es ging in diesem Fall nicht nur um Anderl. Dass der Junge zu Unrecht

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