Das Pestkind: Roman (German Edition)
Stunden später im Rosengarten im Schatten einer Mauer und las in einem Buch.
Sie war müde und traurig, gleichzeitig aber auch unruhig. Sie wusste, wie wichtig dieser Tag für ihren Mentor, für die ganze Stadt war. Pater Johannes hatte sich heute Morgen, als sie bei ihm in der Küche gefrühstückt hatte, besonders viel Mühe gegeben, gute Laune zu verbreiten, obwohl auch ihm die Anspannung anzumerken gewesen war. Noch immer hatte sie wenig Appetit, zwang sich aber dazu, etwas zu essen. Wenn sie verhungerte, würde das Anderl auch nicht weiterhelfen. Sie aß stets in der Küche, oft auch allein. Mit den anderen Mönchen im Refektorium durfte sie nicht speisen. Das würde gegen die guten Sitten des Klosters verstoßen, hatte ihr Pater Johannes erklärt. Grundsätzlich konnte sie sich, seitdem sie in eine der Gästekammern gezogen war, nur noch sehr eingeschränkt bewegen. Sie durfte ihre Kammer nur zu gewissen Uhrzeiten verlassen und dann auch nur in den Rosengarten oder in die Küche gehen. Auf keinen Fall durfte sie mit einem der Mönche sprechen oder sie in ihrem Gebet stören, lediglich Pater Johannes und Pater Franz waren ihre Ansprechpartner, sonst niemand. In die Kapelle konnte sie erst gehen, wenn kein anderer Mönch anwesend war. Die Teilnahme an gemeinsamen Gottesdiensten war ihr verwehrt.
Langsam fühlte sie sich wie in einem Gefängnis. So hatte sie sich ihr Leben ohne Hedwig nicht vorgestellt. Immer wieder hatte sie davon geträumt, die Alte los zu sein. Und jetzt, wo es so war, wünschte sie sich, es wäre alles wieder wie früher.
Sie hatte Anderl nicht wieder besucht, da Pater Franz keine Zeit hatte. Sie vermisste ihren Stiefbruder, und manchmal, wenn sie allein in ihrem Bett lag und nicht schlafen konnte, dann stellte sie sich vor, er würde neben ihr liegen, seine braunen Haare würden sie an der Wange kitzeln, und sein regelmäßiger Atem und seine Wärme und Nähe würden ihr Sicherheit geben. Sie würde ihn ansehen, wie er im Schlaf lächelte, ihm zuhören, wenn er, wie so oft, etwas murmelte, und sich freuen, wenn er den Arm um sie legte.
Lautes Maunzen riss sie aus ihren Gedanken. Paulchen, der grau getigerte Kater des Klosters, sprang elegant neben sie auf die Bank und rieb schnurrend seinen breiten Kopf an Mariannes Arm. Lächelnd begann sie ihn zu streicheln.
»Na, Paulchen, kommst du mich besuchen.« Das Tier genoss die Aufmerksamkeit und kletterte auf ihren Schoß, stupste ihr ans Kinn und sah sie auffordernd an.
»Du hast schon wieder Hunger, nicht wahr? Aber ich bin mir sicher, dass Johannes dir deine Milch bereits gegeben hat.«
»Das hat er auch«, sagte Pater Franz.
Überrascht blickte Marianne auf. Er setzte sich zu ihr und strich dem Kater übers Fell.
»Ich habe es genau gesehen. Eine große Schale mit Milch, und unser Paulchen hat sie komplett leer geschleckt.«
Marianne hob schmunzelnd den Zeigefinger.
»Siehst du, Paulchen, Völlerei ist eine Sünde. Du solltest dich schämen.«
Der Kater ließ sich von den rügenden Worten nicht beeindrucken. Er sprang von Mariannes Schoß herunter und folgte neugierig zwei Schmetterlingen, die hinter der Bank über die Rosenblüten flatterten.
»Jetzt wird General Wrangel bald eintreffen, oder?«
Der Pater nickte.
»Lange kann es nicht mehr dauern. Aber ich bin nicht deshalb zu dir gekommen. Ich wollte etwas anderes mit dir besprechen.«
Marianne sah Pater Franz überrascht an.
»Pater Johannes hat heute Morgen einige Männer losgeschickt, um den alten Theo zu suchen. Wir wollen den Büttel und seinen Komplizen anklagen, sobald die Sache mit Wrangel ausgestanden ist.«
Marianne stand vor Verblüffung der Mund offen.
»Aber, ich dachte …«
»Ich weiß, ich habe gesagt, niemand wird Theo glauben, aber ich habe meine Meinung geändert. Mord ist eine Todsünde, keiner darf damit durchkommen. Das können wir nicht zulassen. Anderl ist unschuldig, und wir werden für ihn kämpfen.«
Freudig sprang Marianne von der Bank auf und fiel ihrem Mentor um den Hals.
»Aber, das ist ja wunderbar, dann wird alles wieder wie früher. Anderl kommt zurück nach Hause, und ich werde ihm helfen.«
Pater Franz löste sich leicht beschämt aus Mariannes Umarmung.
»Ganz so einfach wird es nicht. Wir müssen abwarten, was wir erreichen können. Immerhin beschuldigen wir ja nicht irgendjemanden, sondern den ehrenwerten Büttel, der nach dem Abzug Wrangels gewiss sehr beliebt sein wird.«
Marianne sank zurück auf die Bank.
Der Mönch legte
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