Das Pestkind: Roman (German Edition)
sich und luden ihn häufig ein, die Nacht an ihrem Feuer zu verbringen. Otto hatte gutmütige braune Kulleraugen, die unter den dicken Augenbrauen hervor alle Menschen anstrahlten, und er erzählte gern Geschichten und lustige Begebenheiten, die er in den Heeren erlebt hatte.
Heute war wieder einmal eine traurige Geschichte an der Reihe, wie so oft.
»Wenn ich es euch doch sage. Eleonore war so wunderschön, dass alles andere neben ihr verblasste. Vor ihr neigten selbst die hübschesten Rosen ihre Häupter. Eine blonde Schönheit mit vollen runden Brüsten und ausladenden Hüften. Sie war aus dem Nichts gekommen und hatte die traurigsten Augen, die ich jemals bei einem Mädchen gesehen hatte. Wir waren damals im Heer von Tilly unterwegs, irgendwo in Westfalen. Sie stammte aus einem der Dörfer und suchte bereits seit Wochen nach ihrem Liebsten.«
Zwei weibliche Zuhörerinnen waren stehen geblieben. Die beiden Mädchen, kaum älter als fünfzehn Jahre, stellten ihre Wäschekörbe ab und hingen regelrecht an Ottos Lippen.
Claude, der neben Otto gerade die Sauberkeit seines Hemdes beurteilte, musterte die beiden eher aus anderen Gründen. Er hatte endgültig beschlossen, auf Brautschau zu gehen. Er brauchte eine anständige Frau an seiner Seite, die hübsch und nicht allzu prüde sein sollte. Schließlich war er Franzose und kein Mönch.
Otto wollte sein Publikum nicht enttäuschen und erzählte voller Dramatik weiter.
»Sie war schön, lächelte aber nie. Bald hieß sie nur noch die traurige Eleonore. Viele Freier kamen, und selbst ein General machte ihr den Hof. Doch sie fragte jeden Tag nur nach dem einen. Bei jedem Neuankömmling im Lager erkundigte sie sich nach ihm, und in jedem Dorf sprach sie die Menschen an, beschrieb ihren Liebsten, aber sie blieb traurig und allein.
Doch eines Tages, ich weiß es noch wie gestern, da kam an einem bitterkalten Winterabend im Dezember ein Reiter. Er führte sein Pferd durch die Reihen der Zelte und blieb seltsamerweise direkt vor dem meinigen stehen. Warum er das getan hat, kann ich nicht sagen. Er war groß und stattlich, hatte lockiges braunes Haar und eine hohe Stirn. Und er fragte mich doch tatsächlich nach einem blonden Mädchen namens Eleonore.«
Otto machte eine Pause. Ungeduldig sahen ihn die beiden Mädchen an.
»Und? Was ist dann passiert?«, fragten sie wie aus einem Mund.
Der alte Mann zuckte mit den Schultern.
»Das ist das Traurige daran. Eleonore war zwei Tage zuvor gestorben. Offiziell an einem Fieber. Aber ich sage euch, das arme Ding ist an gebrochenem Herzen gestorben.«
Die beiden Mädchen seufzten. Claude fand an einer Gefallen. Sie war schmal gebaut, hatte große Brüste, und auch um die Hüften waren an den richtigen Stellen Rundungen. Albert folgte dem Blick seines Freundes und grinste, wandte sich dann aber an Otto.
»Otto, mein lieber Otto. Was erzählst du nur wieder für traurige Geschichten. Nicht wahr, Claude?«
Er schlug dem Franzosen auf die Schulter und zwinkerte ihm vielsagend zu. Die beiden Mädchen erröteten unter den Blicken der Männer, hoben ihre Körbe auf und suchten kichernd das Weite.
»Die Rechte wäre nicht schlecht«, meinte Claude, als sie außer Sicht waren. Albert warf ihm einen strafenden Blick zu.
»Sie war kaum fünfzehn Jahre alt. Ein halbes Kind. Für dich zu unerfahren.«
Claude sah Albert, der aufstand und seinen Gürtel umlegte, empört an.
»Was soll das heißen, zu unerfahren? Ich kann es ihr doch beibringen. Eine Hure werde ich nicht heiraten. Anständig soll sie sein.« Er streckte die Nase in die Höhe.
Albert lachte laut auf und lenkte ein.
»Es muss ja nicht gleich eine Hure sein, aber zwei, drei Jährchen älter kann gewiss nichts schaden.«
Otto erhob sich ebenfalls. Er wollte zur alten Milli hinüber. Bereits seit Jahren war er mit der Marketenderin, die den Tross zu ihrem Leben gemacht hatte, befreundet. Die beiden hatten schon mehrere Heereszüge gemeinsam durchgestanden. Bei Milli bekam er immer ein Frühstück, und gewiss fanden sich vor ihrem Zelt neue Zuhörer für eine weitere Geschichte.
»Vielen Dank für die Gastfreundschaft, Albert.« Er salutierte. Albert winkte ab.
»Für dich immer, Otto. Das weißt du doch.« Der Alte humpelte davon. Die Gicht plagte ihn bereits seit Jahren so arg, dass er kaum noch laufen konnte. Die Zeit der großen Schlachten war für ihn schon lange vorüber.
Albert schaute ihm hinterher.
»Bald wird er gar nicht mehr laufen können, der arme
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