Das Pestkind: Roman (German Edition)
sogar ein wenig Alberts Nähe.
A nderl saß auf seinem Bett und versuchte, aus zwei Strohhalmen Tierfiguren zu flechten, die er aus der Matratze gezogen hatte. Auf dem Fußboden lagen noch mehrere Halme verteilt, nach denen er griff. Einige fertige Werke standen bereits auf dem einzigen Tisch der winzigen Kammer. Die Nachmittagssonne erfüllte den Raum mit stickiger Wärme. Das vergitterte Fenster hatte keine Scheibe, und die Luft war zum Schneiden, doch Anderl schien es kaum zu bemerken. Obwohl ihm sein schmutziges Hemd am Leib klebte und der Schweiß in die Augen rann, war sein Blick auf die beiden Halme in seiner Hand gerichtet.
Nachdem Marianne und Pater Franz gegangen waren, hatte Karl ihn hierhergebracht, und sogar Essen und Getränke hatten auf dem Tisch gestanden. Gierig hatte er das frische Brot und das gebratene Fleisch hinuntergeschlungen und von dem kühlen Wasser getrunken, danach hatte er geschlafen und von einer weiten Reise mit den Booten geträumt. Alois hatte ihn mitgenommen, und sogar Marianne war auf einem der Schiffe gewesen. Sie waren einfach fortgefahren, den Geruch des Flusses in der Nase und den Wind in den Haaren, irgendwohin, wo es keine Mutter, keinen Büttel und keine Mauern gab.
Schritte auf dem Flur ließen ihn aufblicken. Vielleicht kam jetzt endlich Marianne, denn sie hatte versprochen zurückzukommen, um ihn zu holen. Doch inzwischen waren schon so viele Tage und Nächte vergangen. Die Schritte verstummten, und der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt. Hoffnungsvoll schaute er zur Tür, aber es war wieder nur Karl.
»Du hast Besuch, Junge.« Er öffnete die Tür ein Stück. Hoffnung blitzte in Anderls Augen auf, die jedoch verschwand, als der Büttel aus der Düsternis des Flurs ins Licht trat.
»Grüß Gott, Anderl«, begrüßte er ihn und nickte Karl zu. Der Wachmann schloss die Tür und entfernte sich.
August Stanzinger blickte sich naserümpfend um. Es stank erbärmlich nach Schweiß, Urin und Kot, in der Ecke stand ein voller Nachttopf. Auf dem Tisch sah er einen Tonkrug und einen Becher, einige Brotstücke lagen am Boden. Der Büttel setzte sich auf den einzigen Stuhl im Raum und schlug die Beine übereinander.
Anderl blickte nicht auf. Er flocht weiter an seinem nächsten Strohtier. Ein Hund sollte es diesmal werden, den er genauso wie die anderen Tiere Marianne schenken wollte.
Interesse heuchelnd, nahm der Büttel eines der Strohtiere in die Hand und drehte es hin und her.
»Hübsch, ein Hase, nicht wahr?«
Anderl antwortete nicht und griff nach einem Halm.
Der Büttel stellte das Tier zurück und legte den Kopf schräg.
»Für einen Mörder eine sehr filigrane Arbeit, findest du nicht auch?«
Anderl erwiderte nichts.
»Du weißt, dass du am Galgen baumeln wirst?«
Anderls Hände begannen zu zittern. Doch er schwieg beharrlich.
Der Büttel seufzte.
»Ich habe mit Marianne gesprochen.«
Anderl blickte auf.
»Sie vermisst dich. Ich würde sie zu dir lassen, aber du weißt ja, die Gesetze.«
Der Ausdruck in Anderls Augen veränderte sich. Auf einmal lag Interesse in ihnen. August Stanzinger jubilierte innerlich, denn sein Plan schien aufzugehen. Nicht mehr lange, und er hatte den Jungen dort, wo er ihn haben wollte. Seine unschuldigen Augen, die rosige Haut. Er wollte mit seinen Händen darüberstreichen und spüren, wie es sich anfühlte, wenn Anderl sich unter ihm wand.
Er setzte sich neben ihn. Sofort rückte der Junge ein Stück von ihm ab.
»Aber ich könnte da schon eine Ausnahme machen.«
Augusts Hand wanderte auf Anderls Oberschenkel. Langsam begann er, über die warme Haut zu streichen, und die Lust stieg in ihm hoch.
Anderl schaute schweigend auf die Hand, bewegte sich aber nicht.
»Wenn du ein bisschen nett zu mir bist, werde ich sie zu dir bringen.«
Seine Hand wanderte weiter nach oben, und er rückte noch näher an den Jungen heran. Anderl wandte den Kopf angewidert ab, ließ August aber gewähren. Sein Herz schlug ihm vor Aufregung bis zum Hals. Marianne! Er konnte sie wiedersehen. Wenn er tat, was der Büttel von ihm wollte, dann käme sie zu ihm. Sein Blick fiel auf den halbfertigen Hund in seiner Hand, den er ihr dann schenken könnte. Er schloss die Augen und versuchte zu ignorieren, dass der Stadtbüttel damit begonnen hatte, seinen Hals zu küssen, und dass seine Hände seinen Schritt erreichten, in dem sich sein Glied versteifte. Aufstöhnend zog der Büttel ihn an sich, und das Strohtierchen fiel zu Boden. Wenn er fort war,
Weitere Kostenlose Bücher