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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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würde er es wieder aufheben, dachte Anderl und schloss die Augen.
    *
    Pater Franz nahm sein Frühstück bei Johannes in der Küche ein. Es war ein kühler Morgen. Auf dem Innenhof standen große Pfützen, in die unaufhörlich der Regen prasselte. Zwei Kerzen brannten auf dem Tisch und malten Schatten auf die weiß getünchten Wände.
    Johannes schälte Möhren. Sie schwiegen, wie sie es in der letzten Zeit öfter taten. Seitdem Marianne fort war, hatte sich alles verändert. Franz schlich wie ein geprügelter Hund durch die Klostergänge und verbrachte Stunden im Rosengarten, wo er die Blumen anstarrte. Johannes ließ ihn gewähren, denn auch er trug den Schmerz des Verlustes in sich. Jedes Mal, wenn die Hintertür sich öffnete, glaubte er, Marianne würde kommen. Sie hatten sie weggeschickt und wie eine Ware behandelt, doch hätten sie eine andere Wahl gehabt? Wrangel hatte an diesem Nachmittag den Ton angegeben, sie waren nur Statisten in einem grausamen Spiel gewesen.
    Seufzend legte er das Messer zur Seite, setzte sich zu seinem Freund und schenkte sich einen Becher Dünnbier ein. Seine Beine schmerzten, die Feuchtigkeit zog in seine alten Knochen.
    »Es wird nicht besser, wenn du die Wände anstarrst«, sagte er.
    »Ich weiß«, erwiderte Pater Franz. »Sie fehlt mir so sehr, alles tut mir weh.«
    Pater Johannes trank von seinem Bier und lächelte.
    »Ich weiß noch, wie sie als kleines Mädchen immer hier gesessen hat.« Er blickte auf den leeren Platz neben Franz.
    »Ihre Füße haben nicht auf den Boden gereicht. Ihre leuchtenden Augen, die roten Wangen und kleinen Händchen, die Art, wie sie mit mir gesprochen hat. Sie war so ein liebes Mädchen.«
    Pater Franz legte seinen Löffel weg.
    »Selbst der alte Kater scheint sie zu vermissen, denn seit sie fort ist, sitzt er wie verloren auf der Bank im Rosengarten.«
    Johannes sah seinen Freund nachdenklich an. Sie hatten viele schlimme Dinge miteinander durchgestanden. Marodeure waren mehrmals über das Kloster hergefallen, sie hatten es wieder aufgebaut. Die Pest hatte in der Umgebung gewütet, sie hatten sich um die Kranken gekümmert. Überschwemmungen, Missernten und Seuchen suchten sie seit Jahren heim, doch sie hatten sich gegenseitig gestützt und waren füreinander eingestanden. Für alle Probleme hatte es eine Lösung gegeben, aber nun saßen sie sich gegenüber und fanden keine Worte, denn auf diese Art von Kummer gab es keine Antwort.
    »Du hättest nichts für sie tun können.«
    Pater Franz schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht habe ich zu schnell nachgegeben. Trage ich doch die Sünde in mir, weil ich davor schon darüber nachgedacht habe, was aus ihr wird.«
    Johannes atmete tief durch.
    »Das ist keine Sünde, wenn du dir um dein Mündel Gedanken und Sorgen machst. Wir wussten stets, dass sie nicht für immer bei Hedwig bleiben kann. Deine Idee mit den Zisterzienserinnen war doch sehr gut, die Schwestern hätten sie gewiss zu sich genommen, und dort hättest du sie sogar besuchen können.«
    Pater Franz seufzte.
    »Du hast ja recht. Die ganze Stadt hat sie verurteilt. Sie sind alle so dumm und engstirnig. So viele haben die Pest überlebt. Wir haben es auch durchgestanden und sind nicht erkrankt. Warum wurde sie so gehasst?«
    Johannes zuckte mit den Schultern.
    »Wenn ich darauf eine Antwort wüsste. Aber immerhin hatte sie Anderl und uns, die ihr Kraft und Halt gaben.«
    Pater Franz zog die Augenbrauen hoch.
    »An den Jungen will ich lieber gar nicht denken. Ich bitte jeden Abend den Herrgott darum, mir die Absolution zu erteilen, aber auch das wird mich nicht von meiner Schuld reinwaschen. Irgendwie müssen wir diese schreckliche Hinrichtung verhindern, aber mir fällt nichts ein. Der alte Theo liegt dort hinten auf dem Klosterfriedhof und hat sein Wissen mit ins Grab genommen, ohne ihn ist es aussichtslos.«
    »Ich weiß«, antwortete Johannes seufzend. »Wir haben Marianne versprochen, Anderl zu helfen, und jetzt sind uns die Hände gebunden. Es ist gut, dass sie nicht mit ansehen muss, wie ihr geliebter Bruder auf dem Schafott stirbt. Das hätte sie niemals verkraftet.«
    Pater Franz erhob sich, und plötzlich trat wieder ein Ausdruck der Entschlossenheit in seine Augen.
    »Noch hängt er nicht, mein Freund.« Er schlug Johannes auf die Schulter. »Vielleicht findet sich ja doch noch eine Lösung, denn Gottes Wege sind unergründlich.«
    Johannes räumte den Tisch ab.
    Pater Franz öffnete die Hintertür.
    »Ich breche jetzt nach Rosenheim

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