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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Musik, die Stimmen, alles wurde ihr zu viel. Schweißgebadet sprang sie auf, lief aus dem Zelt und übergab sich gleich neben dem Eingang. Ihr Hals brannte, und Tränen rannen über ihre Wangen. Verzweifelt schlug sie die Hände vors Gesicht. Weshalb strafte Gott sie nur so? Was hatte sie ihm denn getan?
    »Ein Engel«, schluchzte sie. »Warum hast du mich denn nicht zu einem Engel gemacht wie all die anderen auch?«
    »Was ist denn los?«, drang plötzlich eine Stimme an Mariannes Ohr. »Warum willst du denn ein Engel sein?« Sanft legte sich eine Hand auf ihre Schulter.
    Marianne wischte sich hastig übers Gesicht und drehte sich um. Albert stand vor ihr und sah sie besorgt an.
    Sie wollte noch immer nicht mit ihm reden. Sollte er doch denken, was er wollte. Vielleicht würde er es sich noch einmal anders überlegen, wenn sie ihn abwies.
    Er blickte kurz ins Zelt und legte dann den Kopf schräg.
    »Ich mag solche Anlässe nicht besonders, aber mein Bruder wünscht meine Anwesenheit.«
    Marianne schwieg weiterhin. Ihr Herz schlug ihr vor Aufregung bis in den Hals, und die Übelkeit wich einem nervösen Kribbeln in ihrem Bauch. Verstockt blickte sie zu Boden.
    »Du willst nicht zu mir gehören, oder?«
    Marianne sah ihn verwundert an.
    Er lächelte.
    »Das würde ich an deiner Stelle auch nicht wollen, immerhin habe ich dich entführt und dir dein Zuhause weggenommen.«
    Mariannes Augen wurden immer größer.
    Albert blickte sich um.
    »Wir sollten hier weggehen. Irgendwohin, wo es schöner und gemütlicher ist.«
    Er griff nach ihrer Hand und zog sie vom Zelteingang fort. Marianne wehrte sich nicht.
    Gemeinsam liefen sie durch den Feldherrenhof und ließen schnell diesen Bereich mit den weißen Zelten hinter sich, tauchten ein in das bunte Leben des Trosses und standen irgendwann vor Millis Zelt.
     
    Hier war auf einmal alles gut. Marianne saß, in eine bunte Flickendecke gehüllt, am Feuer, denn die Schwüle der letzten Tage war kühlerer Luft gewichen. Einige Burschen sangen oder spielten Geige, und junge Pärchen hopsten zu den Klängen durch das Gras. Tanzen konnte man es nicht nennen. Um das Feuer saßen einige Männer beim Karten- oder Würfelspiel, und Kinder liefen kreischend herum.
    Albert sprach auf der anderen Seite des Feuers mit Milli. Sie lachten laut, und Millis Augen strahlten. Sie schien ihn wirklich zu mögen. Marianne wollte es sich nicht eingestehen, aber auch sie fand ihn nett, denn er wirkte nicht so überheblich wie die anderen in dem Zelt, obwohl er der Bruder des Anführers war.
    »Er ist ein feiner Kerl«, sagte plötzlich eine Stimme.
    Marianne blickte auf. Der alte Mann mit den freundlichen Augen setzte sich neben sie.
    Er deutete auf Albert.
    »Albert Wrangel ist der beste Soldat, den ich kenne. Und das will was heißen, denn ich kenne und kannte viele. Von Westfalen bis Pommern, von Schwaben bis Preußen. Ich habe sie alle gesehen, aber nirgendwo war einer wie Albert.«
    »Warum nicht?«, fragte Marianne neugierig.
    »Er kämpft mit Herz, manchmal mit zu viel Herz. Er ist nicht für den Krieg geschaffen.« Der Alte machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir alle sind es nicht, auch wenn wir es manchmal denken. Ich kann dir da eine Geschichte erzählen, damals, irgendwo in Westfalen unter Tilly, sind wir eines Tages in ein kleines Dorf gekommen. Wenn man diese Ansammlung verwüsteter Häuser noch Dorf nennen konnte. Jedenfalls traf ich dort auf zwei junge Burschen, kaum älter als zwölf Jahre. Ich kann mich noch genau an ihre Gesichter erinnern, die sich beide bis ins Kleinste glichen. Die Nasenspitzen voller Sommersprossen, die Wangen gerötet und die Augen voller Tatendrang. Mein Gott, was waren sie jung gewesen. Sie boten mir etwas zu trinken an, und ihre Mutter, die wie ein eingefallenes altes Mütterchen wirkte, obwohl sie nicht älter als dreißig Jahre sein konnte, lud mich sogar zum Abendessen ein.«
    Er schüttelte den Kopf. »Diese Frau war so großzügig und teilte das Wenige, was ihnen noch geblieben war, mit mir.«
    Er nahm einen Schluck Bier. Marianne hing an seinen Lippen. »Und was geschah mit den beiden«, fragte sie und bemerkte es nicht, als sich Albert neben sie setzte.
    »Die Buben konnten gar nicht genug von den Geschichten bekommen und wollten alles ganz genau wissen. Stundenlang musste ich von den Schlachten und dem Trossleben berichten, und sie bewunderten meine Waffen und betasteten mit leuchtenden Augen meine Uniform, die damals mehr als schäbig war. Am

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