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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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trieb es zahlreicher denn je in den Gottesdienst, denn die Überschwemmungen machten ihnen das Leben schwer, und sie beteten und hofften, dass Gott ein Einsehen haben würde und sich das Wetter änderte.
    Für einen kurzen Moment ließ Franz seinen Blick über die Kirchenbänke schweifen. In einer der vorderen Reihen saß August Stanzinger direkt neben dem Bürgermeister und tuschelte mit ihm. Wie sehr er diesen Menschen doch verachtete. Der Büttel hatte eine aufgesetzte Freundlichkeit an sich, die er längst durchschaut hatte. Dieser Mann nutzte alles und jeden zu seinem eigenen Vorteil aus, und was er für den Mord an Hedwig Thaler und die Anklage von Anderl erhalten hatte, konnte er nur erahnen.
    Er senkte seinen Blick. Es stand ihm nicht zu, über den Mann zu urteilen, denn Gott würde über ihn richten, dessen war er sich sicher.
    Er begann mit dem Gottesdienst und versuchte, seine Gedanken auszublenden, hielt sich an dem immer gleichen Ablauf und an den Worten der Gebete fest. Seine Predigt war sachlich. Er ermahnte die Menschen, Buße zu tun und dafür zu beten, dass kein schlimmes Unheil über die Stadt hereinbrach. Dann rief er ihnen das furchtbare Schicksal von Aibling in Erinnerung. Dankbar sollten sie sein, dass Gott es so gut mit ihnen gemeint hatte, denn Wrangel war fort und hatte Rosenheim verschont. In den Fürbitten, die er später mit lauter Stimme vortrug, bat er um besseres Wetter und darum, dass Gott den Bauern und deren Ernte wohlgesinnt war. Während die Gemeinde laut »Christus erhöre uns« intonierte, war ihm klar, dass eine Missernte kaum noch abzuwenden war, denn das Getreide verfaulte vor ihren Augen. An den nächsten Winter wollte er lieber gar nicht denken.
    Mit Inbrunst feierte er danach mit den Gläubigen das Abendmahl, den Teil des Gottesdienstes, den er am liebsten mochte. Seine Lippen formten die immergleichen Worte, und voller Stolz hielt er den Kelch und die Schale mit dem Brot in die Höhe, das er danach symbolisch brach. Heute war es ihm irgendwie besonders wichtig, das geliebte Ritual durchzuführen. Es gab ihm ein wenig seiner Sicherheit zurück. Gott war bei ihm, an seinen Regeln konnte er sich festhalten. Er würde ihm beistehen und die Kälte und das Grauen vertreiben.
     
    Später, als alle Gläubigen nach Händeschütteln und so manchem Wort gegangen waren, saß er im Beichtstuhl. Zur Messe waren alle gekommen, sogar die Sitzplätze hatten heute nicht ausgereicht, aber für die Beichte schien niemand Zeit zu haben. Dem Glockenschlag lauschend, hatte er den Kopf nach hinten gelehnt und döste vor sich hin. Nachdem die Kirchturmuhr mehrfach geschlagen und sich noch immer kein reuiger Sünder bei ihm eingefunden hatte, streckte er sich und griff nach seiner Bibel. Doch dann näherten sich Schritte, und die Tür zum Beichtstuhl wurde geöffnet. Er sank zurück auf seinen Platz.
    »Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt«, drang es an sein Ohr. Pater Franz öffnete die Klappe und blickte erstaunt in die Augen des Bürgermeisters Xaver Breitner.
    Abwartend sah der Mönch den Stadtobersten an. Was konnte er schon groß verbrochen haben? Der Ruf des Bürgermeisters war tadellos.
    »Ich habe ein Menschenleben auf dem Gewissen.« Xaver Breitner sah den Mönch ernst an.
    Pater Franz zuckte zusammen.
    Der Bürgermeister fuhr sich hektisch durchs Haar.
    »Und wenn ich es genau nehme, dann sogar bald zwei.«
    Franz zog die Augenbrauen hoch.
    »Das müsst Ihr mir jetzt aber näher erklären.« Er beugte sich nach vorn.
    »Aber Ihr müsst mir versprechen, es für Euch zu behalten. Es ist mir peinlich«, flüsterte der Bürgermeister.
    »Das Beichtgeheimnis verbietet mir, darüber zu sprechen«, erwiderte der Abt.
    »Nun gut.« Der Bürgermeister atmete noch einmal tief durch.
    »Damals, als die Hedwig Thaler angeblich von dem Buben erschlagen worden ist, da war ich auch im Hof. Hinter dem Hühnerstall« – er machte ein Pause – »war ich mit der Margit zugange. Sie ist ein hübsches Ding, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
    »Ja und weiter?« Der Abt war völlig fassungslos. Er hatte einen Zeugen, den besten Zeugen, den man nur haben konnte. Er konnte es gar nicht glauben.
    »Es ging alles blitzschnell. Mir hingen die Hosen in den Knien, und ich war gerade …« Er verstummte.
    Pater Franz wurde ungeduldig.
    »Ich weiß, Ihr habt eine Sünde begangen und eines von Gottes Geboten verletzt. Ihr wisst selbst, dass man die Ehe nicht brechen soll, aber das ist jetzt Nebensache.

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