Das Pesttuch
aufgebäumt und gekrächzt hatte: »Verbrennt alles!« Wie viele von uns wären vie l leicht verschont geblieben, wenn ich genau das noch am selben Tag getan hätte? Wenn ich seine Nähsch a tulle und all die halb fertigen Kleidungsstücke aus dem Stoff verbrannt hätte, der aus London hierher gekommen war?
Dieser Gedanke quälte mich so sehr, dass ich me i ne Gedanken nicht genug beisammen hatte, um mich auf Mister Mompellions Worte zu konzentrieren. Deshalb kann ich mich auch nicht daran erinnern, wie er den Dorfbewohnern ein widerwilliges Einve r ständnis abrang. Von Urith Gordon sprach er, das weiß ich, und wie die Pest sie niedergestreckt hatte, nachdem sie die liebenswürdigerweise angebotenen Kleider und Gegenstände aus Häusern angenommen hatte, die die Pest heimgesucht hatte. Ich weiß, dass er von der reinigenden Kraft des Feuers sprach und wie sich die Menschen seiner seit Anbeginn der Ze i ten als Symbol der Wiedergeburt bedient hatten. Wie immer sprach er beredt und nachdrücklich und b e nutzte dazu seine schöne Stimme wie ein Instrument, das Gott genau zu solchen Zwecken erschaffen hat. Und doch waren wir der Worte müde, wir alle. Was hatten sie uns schließlich gebracht?
Im Laufe des Nachmittags wuchs der Scheiterha u fen nur langsam. Selbstverständlich gingen der Herr Pfarrer und Elinor mit gutem Beispiel voran und schafften bis auf die Kleider, d ie sie am Leib trugen, und einige wenige Bettwäsche, die sie mir zum Au s kochen gaben, alles hinaus. Als aber die Bibliothek an der Reihe war, zitterte selbst Elinor und erklärte, sie bringe es nicht übers Herz, die Bücher zu verbrennen. »Und wenn sich darin auch Pestsaaten bergen mögen, so steckt in ihnen vielleicht auch das Wissen, uns von der Pest zu befreien. Vielleicht h a ben wir nur noch nicht genug Verstand, um sie ric h tig zu deuten.«
Was mich betraf, so gab es ein Ding, von dem ich mich nicht trennen konnte: jenes winzige Wams, das ich für Jamie in seinem ersten Winter gemacht und für Tom aufgehoben hatte, bis er groß genug war, es zu tragen. Dieses versteckte ich und schämte mich dabei meiner Schwäche. Meine restliche geringe H a be sammelte ich, um sie den Flammen zu übergeben. Seltsam, am Tag des Herrn zu schrubben und zu f e gen, aber der Herr Pfarrer hatte so überzeugt gespr o chen, dass selbst eine Alltagsarbeit wie Hausputz i r gendwie ein Teil des Gottesdienstes geworden zu sein schien. Kessel um Kessel kochte ich ab, zuerst im Pfarrhaus, dann in meiner Kate, und überbrühte in diesen Behausungen Tische und Stühle, jedes Brett und jeden Stein.
Als wir uns zur Dämmerung im Steinbruch ve r sammelten, war ich völlig erschöpft. Wie benommen starrte ich das traurige Häuflein Habseligkeiten an – die Summe unseres kärglichen Lebens. Zum ersten Mal seit vielen Monaten dachte ich an die Bradfords und ihre ganze reiche Habe, die in der einsamen Sti l le von Bradford Hall eingesperrt war. Wahrschei n lich waren die Bradfords in ihrem sicheren Oxforder Hafen die einzige noch intakte Familie dieses Dorfes. Ich malte mir aus, wie sie eines Tages zurückkehrten und an ihrem prächtigen Tisch mit dem ganzen Le i nen und Silber saßen. Ich sah, wie der Oberst mit seinen fetten Fingern auf den Tisch trommelte und ungeduldig seine Mahlzeit erwartete, während der Geist von Maggie Cantwell stumm im Schatten vor sich hin schluchzte. Vielleicht wären wir bis dorthin ein ganzes Geisterdorf, und nicht einmal die Bra d fords wü r den sich hierher wagen, trotz ihres großen Hauses und all der feinen Sachen.
Wir waren tatsächlich bis auf die Haut entblößt. Unten am Scheiterhaufen stand die Krippe – mit so viel Liebe und freudiger Erwartung geschnitzt –, in der das Kind der Livesedges gestorben war. Da lagen Hosen herum, in denen einst die muskulösen Waden kräftiger Jungknappen gesteckt hatten. Viel Bettzeug gab es, Strohsäcke, die einmal für süße Ruhe gesorgt hatten. Stumm warteten all diese einfachen Gegen s tände auf die Fackel und erzählten mir doch von j e nen anderen Verlusten, die man nicht aufhäufen und betrachten konnte: von täglichen Gesten der Zär t lichkeit zwischen Mann und Frau, vom Frieden im Herzen einer Mutter beim Anblick ihres schlafenden Kindes, von den einzigartigen und ganz persönlichen Erinnerungen an all die vielen Toten.
Michael Mompellion stand in der Nähe des Fel s überhangs, der ihm als Kanzel diente. Mit der Rec h ten hielt er einen flammenden Ast hoch. Vor ihm e r hob sich der
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