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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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Berg Habseligkeiten, während wir tiefer standen, wie immer viele Ellen auseinander. »Herr, allmächtiger Gott!«, rief er. Seine Stimme hallte durch den Steinbruch. »So, wie es Dir einst gefiel, von De i nen Kindern Israels Brandopfer anzunehmen, so bi t ten wir Dich, empfange diese Dinge von uns, Deiner Leidensschar. Nimm dieses Feuer, um unsere Herzen zu reinigen wie unsere Häuser, und erlöse uns endlich vom Zorn jener Krankheit, die uns b e stürmt.«
    Tief stieß er den brennenden Ast ins Stroh, das aus einer Matratze quoll. Gierig leckten die Flammen hoch. Es war eine klare Nacht, trocken und windstill, eine Nacht, wie sie hier eher im tiefen Winter vo r kommt als im Hochsommer. In einer rotgoldenen Säule schraubte sich das Feuer in die Höhe, heiße Funken sprühten wild umher, als wollten sie es dem kaltweißen Gefunkel der Sterne gleichtun. Dann sa n gen wir gegen das Gebrüll des Feuers an, jenen Psalm, den wir seit Ausbruch der Pest schon unzä h lige Male gesungen hatten:
     
    »Dass du nicht erschrecken müssest vor dem Grauen d er Nacht,
    v or den Pfeilen, die des Tages fliegen,
    v or der Pest i lenz, die im Finstern schleicht,
    v or der Se u che, die im Mittage verderbet.
    Ob tausend fallen zu deiner Seite
    u nd zehntausend zu deiner Rechten,
    s o wird es doch dich nicht tre f fen …«
     
    Früher einmal hatten wir diese Worte mit so viel Überzeugung gesungen. Ich musste daran denken, wie unser Gesang in der Kirche emporgestiegen war. Jetzt waren wir so viel weniger Stimmen. Müde und gebrochen schleppten sie sich mechanisch durch die Noten. Da wir so weit auseinander standen, konnten nicht alle das vorgegebene Tempo halten. Einige kamen aus der Tonhöhe, sodass unser Hymnus von Vers zu Vers unordentlicher und falscher klang.
    Während unseres Gesangs verloren die Gegen s tände im Zentrum des Feuers ihre einzelnen Umrisse und gerannen zu dunklen Schatten, zum Hintergrund für das wirbelnde Gleißen. Einen Augenblick fielen die schwarzen Stellen innerhalb der Flammen zu e i ner Form zusammen, die an die Augenhöhlen eines Totenschädels erinnerten. Ein Bild, das mich e r schreckte. Ich blinzelte. Als ich wieder hinsah, war es verschwunden.
    Zwischen dem Gesang und dem Knistern des Fe u ers hörten wir die Schreie der Frau erst, als sie mitten unter uns stand. Hinter mir wurde es unruhig. Als ich mich umdrehte, sah ich, w ie der junge Brand und Robert Snee, der nächste Nachbar der Merrills, eine sich heftig wehrende Gestalt zum Feuersrand zerrten. Die Frau war ganz in Schwarz gekleidet und hatte sich einen schwarzen Schleier um den Kopf gebu n den, der ihr übers Gesicht fiel. Als die zwei jungen Männer sie mit Gewalt nach vorne beförderten und vor Michael Mompellion zu Boden stießen, brach der Gesang urplötzlich ab. Brand streckte die Hand aus und zog den Schleier zurück. Es war Aphra.
    »Was soll das bedeuten?«, wollte der Herr Pfarrer wissen, während sich Elinor bückte, um Aphra hoc h zuhelfen. Aphra schob den schwarzen Stoff aus i h rem Gesicht und sah sich wild um, als suche sie nach einer Fluchtgasse durch die Menge, aber Brand legte ihr eine Hand hart auf die Schulter.
    »Hier ist der › Geist ‹ , dessen Heimsuchungen uns alle genarrt haben!«, rief Brand. »Ich habe sie in g e nau diesen schwarzen Trauerkleidern, die ihr seht, in den Wäldern nahe beim Grenzstein erwischt. Dort hat sie sich versteckt und versucht, meine Schwester Charity zu erschrecken, um ihr einen Schilling für ein Amulett abzuschwatzen, damit der kleine Seth nicht die Pest bekommt.« Angeekelt warf er einen Stoff streifen weg, der ganz mit fremden Wörtern bekritzelt war, genau wie jener, den Elinor vom Hals des toten Babys von Margaret Livesedge gewickelt hatte. Einen Augenblick hielt er ihn hoch, damit es alle sehen konnten, dann ließ er ihn erneut fallen und stampfte ihn mit seinem Stiefel in den Dreck.
    »Schande!«, schrie gellend eine Frauenstimme aus der Menge. Bei einem Blick in die Runde sah ich, dass es Kate Talbot war, deren Gesicht vor Leid tr ä nenüberströmt war. »Diebin!«, schrie Tom Mowbray. Jetzt explodierte die ganze Gemeinde. Als Speichel und Erdklumpen zu fliegen begannen, fiel Aphra auf die Knie und barg ihr Gesicht in den Hä n den.
    »Taucht sie unter!«, rief einer. »An den Pranger!«, brüllte eine andere Stimme.
    Wenn der Herr Pfarrer nicht rasch etwas tut, dac h te ich im Stillen, wird diese Menge zum Mob und damit unhaltbar. Mit unseren allzu rohen Wunden und der

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