Das Pesttuch
zu begraben«, sagte er. »Und dazu ist auch dann noch Zeit, wenn sich Aphras Raserei e r schöpft hat.« Noch etwas beunruhigte ihn, ohne dass er darüber sprach. Nur Elinor gestand es mir vertra u lich. Michael Mompellion traute den Männern, die er zur Hütte mitnehmen wollte, nicht zu, Aphras B e nehmen lediglich als Ausbruch von Wahnsinn zu b e greifen. Außerdem wollte er nicht jenen Ängsten und Gerüchten die Zügel schießen lassen, die Begegnu n gen mit einer Hexe und ihrem züngelnden Haustier an die Oberfläche bringen könnten. Tief im Innersten wusste ich, dass er weise handelte, und doch ging mir das Bild der gequälten Kinderleiche nicht aus dem Sinn. Viele Nächte raubte es mir meinen Schlaf – und tut es noch immer.
Erlösung
Ich ging nicht wieder zu Aphras Hütte. Da das Kind tot war, redete ich mir ein, ich hätte dort nichts Sin n volles zu tun. Mein Herz flüsterte, ich solle Ap h ra nicht ihrem Wahnsinn überlassen, aber ich horte nicht darauf. In Wahrheit hatte ich nicht das Gefühl, meinen eigenen Verstand so fest im Griff zu haben, dass ich dem Schrecken jenes Hauses gewachsen war. Mittlerweile werden wir nie erfahren, ob dies etwas geändert hätte. Inzwischen liegen schon viele Tage und Nächte hinter mir, in denen ich mir wegen meiner Entscheidung Vorwürfe mache.
Binnen ganz kurzer Zeit gelang es mir, jeden G e danken an Aphra zu vermeiden. Dabei half mir, dass es sonst viel Grund zum Nachdenken gab. Denn während jener vierzehn Tage nach dem großen Brand geschah etwas im Dorf. Zuerst fiel es keinem von uns auf. Als es dann doch so weit war, sprach keiner von uns darüber. Aberglaube, Hoffnung, Nicht-glauben-Können – all das verbündete sich mit uns e rer alten Freundin, der Angst, und hielt uns davon ab.
Wie gesagt, etwas geschah. Doch in Wahrheit fiel mir eher auf, dass gewisse Dinge nicht geschahen. Nach dem letzten Julisonntag hörten wir nichts mehr von neuem Husten oder Fieberanfällen oder Pestbe u len. Die ersten zwei Wochen bemerkte ich das gar nicht. Noch immer machte mir eine ganze Anzahl Leute Sorgen, die schon seit Tagen krank waren und deren Ende sich nun abzeichnete. Aber bei unserer nächsten sonntäglichen Versammlung im Steinbruch zählte ich, wie gewohnt, alle Anwesenden und en t deckte zu meiner Überraschung, dass alle wieder hier waren, die auch bei unserem letzten Gottesdienst anwesend gewesen waren. Zum ersten Mal seit fast einem Jahr gab es niemand, den man vermisste.
Auch Mister Mompellion musste dies bemerkt h a ben, auch wenn er nicht direkt darauf anspielte. Stattdessen predigte er über die Auferstehung. Letzte Woche hatte es die meiste Zeit wie aus Kübeln g e schüttet. Der nackte geschwärzte Kreis, wo wir unser Hab und Gut den Flammen übergeben hatten, war mit einem hoffnungsvollen grünen Schleier überz o gen, auf den der Herr Pfarrer uns alle aufmerksam machte.
»Seht ihr, meine Freunde? Das Leben hat Bestand. Und wie das Feuer nicht den Lebensfunken auf e i nem schlichten Grasstück ersticken kann, so kann auch der Tod nicht unsere Seelen ersticken oder das Leid unseren Geist.«
Am nächsten Morgen ging ich auf der Suche nach Eiern in meinen Hof, wo ich einen fremden Hahn vorfand, der meine Hühner durcheinander brachte. Es war ein kühner Kerl und wich nicht von der Ste l le, als ich ihn scheuchte, sondern lief tapfer auf mich zu, legte seinen schönen roten Kamm schief und musterte mich seitlich aus einem Auge.
»Na, jetzt schlägt’s aber dreizehn! Du bist doch der Hahn von Andrew Merrick, wenn ich nicht irre!« Noch während ich das sagte, flatterte er auf die Brunnenhaspel und begrüßte den Morgen mit einem mächtigen Krähen. »Sag mal, mein gefiederter Freund, was machst denn du hier, während dein Herr zum Zeitvertreib droben auf dem einsamen Gipfel hockt?« Daraufhin gab er mir keine Antwort, so n dern flog davon, allerdings wider Erwarten nicht in Richtung der Einsiedlerhütte am Sir William Hill, sondern weiter östlich, zu Merricks schon lange ve r lassener Kate.
Woher wusste der Vogel, dass er sicher in sein a l tes Hühnerhaus zurückkehren konnte? Das wird für immer ein Geheimnis bleiben. Allerdings kam im Laufe dieses Tages auch Andrew Merrick heim, mit einem langen, buschigen Bart wie ein Prophet aus dem Alten Testament. Er käme, meinte er, weil er dem Urteil seines Vogels vertraue.
Soll ich sagen, dass wir jubelten, als Mensch wie Tier immer überzeugter wurden, dass die Pest wah r haft fort war?
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