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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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heraus erleuchtete. Angesichts der überaus warmen Nacht war dies allein schon merkwürdig. Beim Näherkommen konnte ich durchs Fenster wilde Schatten herumspringen sehen. Als ich noch näher heranging, dämmerte mir, dass Aphra in wilden Sprüngen vor ihrem Feuer herumtanzte und dabei wie in einem Anfall von Wahnsinn die Arme hoc h warf. Eigentlich hatte ich mich weder anschleichen noch sie ausspionieren wollen, aber da das Fenster keinen Vorhang hatte, blieb ich im Schatten eines Lorbeerstrauchs stehen. Vielleicht konnte ich ja mit bloßem Auge feststellen, was dieses merkwürdige Benehmen zu bedeuten hatte. Mit fast bis auf die Kopfhaut geschorenen Haaren stand sie in einem verdreckten Hemd da, unter dem sich ihr ausgeme r gelter Körper abzeichnete. Sie schoss in die Tiefe und wieder hoch und bellte dabei einen Unsinn, der sich zu einem markdurchdringenden Schrei steigerte: »Arataly, rataly, ataly, taly, aly, y … iiiiiiiii!« Dann rannte sie aufs Feuer zu, packte die darin liegenden Kaminböcke an den Griffen und legte sie in Form eines X auf den gestampften Lehmboden. Viermal streckte sie sich in jedem Viertel dieser Figur der Länge nach am Boden aus und hob dann flehentlich die Arme. Anscheinend zog sie von den Deckenba l ken etwas zu sich herunter, was, konnte ich anfän g lich nicht sagen. Mit beiden Händen hielt sie den dunklen Gegenstand. Leider drehte sie mir den R ü cken zu, sodass ich nur erkennen konnte, dass er sich wie lebendig zu bewegen schien.
    Ich gestehe, jetzt bekam ich Angst. Ich glaube w e der an Hexerei noch an Zaubersprüche, weder an I n kubus noch an Sukkubus oder ähnliche Geistwesen. Aber an eines glaube ich: a n böse Gedanken und – an Wahnsinn. Und als die Schlange aus Aphras Händen glitt und sich um ihre Mitte wand, wollte ich im er s ten Impuls möglichst schnell davonlaufen.
    Und doch lief ich nicht weg, sondern stand wie angewurzelt da. Ich hatte nur einen verzweifelten Wunsch: Faith von jener Wahnsinnigen fortzuscha f fen, die ihre Mutter geworden war. Wahrscheinlich war es der letzte Rest jenes Muts der Verzweiflung, den jede Mutter hat, jene Urmacht in einer Frau, die sie um ihres Kindes willen zu Taten treibt, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht ausmalen kann. Angetrieben von diesem Mut warf ich mich gegen die Tür, bis sie nachgab. Da stand ich nun, vor mir Aphra und ihre Schlange.
    Bei meinem Anblick schrie sie gellend auf. Vie l leicht hätte auch ich geschrien, hätte mir nicht ein unsäglicher Gestank die Luft geraubt. Ohne einen Blick auf die Leiche wusste ich, dass das Kind schon lange tot war. In einer Ecke hatte Aphra den Körper von Faith wie eine Puppe an Handgelenken und Fe s seln mit Schnüren an den Deckenbalken angebunden. Gnädigerweise hing der Kopf des Kindes nach einer Seite, sodass ein Vorhang aus Haaren sein zerstörtes Gesicht verhüllte. Aphra hatte versucht, das tote schwarze Pestfleisch mit einer Art Kalkpaste zu maskieren.
    »Hab Erbarmen, Aphra, schneid sie herunter und lass sie in Frieden ruhen!«
    »Erbarmen?«, kreischte sie. »Wer hat Erbarmen? Und wo, bitte schön, findet man Frieden?« Dann flog sie mit der Schlange in der Hand zischend auf mich zu. Normalerweise habe ich vor Schlangen keine Angst, aber als sich roter Feuerschein in diesen zwei glitzernden Augen brach und mich die gespaltene Zunge anzischelte, zitterte ich vor Angst. Ich konnte nichts mehr tun, weder für Faith noch für Aphra. Deshalb gab ich meinem feigen Impuls nach und floh von diesem Ort, so schnell mich meine Beine trugen.
    Der Herr Pfarrer begab sich noch in jener Nacht zur Hütte, und am nächsten Morgen wieder in B e gleitung von Elinor. Aber inzwischen hatte Aphra die Tür verbarrikadiert und das Fenster zugehängt. Sie unterbrach auch nicht mehr ihren rasenden Gesang, um sie zu beschimpfen, sondern tanzte einfach we i ter, als wären sie nicht da. Der Herr Pfarrer stand draußen und sprach die üblichen Gebete für Faith’ Seele, während Aphras gespenstische Stimme immer lauter wurde und seine Worte mit einem Singsang in einer unverständlichen Heidensprache übertönte. Im Pfarrhaus wurde darüber diskutiert, ob eine Schar Männer die Tür aufbrechen und die Kindesleiche h e rausbringen solle, aber der Herr Pfarrer entschied sich dagegen. Angesichts von Aphras Irrsinn und dem bereits in Verwesung übergegangenen Leic h nam erschien ihm das Risiko für die Männer zu groß.
    »Schließlich könnten wir für das Kind nichts and e res tun, als es

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