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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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Erleichterung bringen würde, das verstehe ich jetzt. Als die gute Wirkung des Trankes und der Salbe nachließ, stieg das Fieber erneut, Stunde um Stunde, und gegen Nachmittag fiel er ins Delirium. »Mami, Tom ruft nach dir!«, flüsterte er eindringlich und ruderte dabei mit den Armen, als wollte er mich holen.
    »Ich bin hier, mein Schatz. Sag Tommy, dass ich ganz nahe bin.« Ich versuchte, die Tränen in meiner Stimme zu unterdrücken, aber als Toms Name fiel, begannen meine Brüste so viel Milch abzusondern, dass sich außen auf meinem Mieder große dunkle Flecken abzeichneten.
    Elinor Mompellion brachte Jamie ein Seidesäc k chen, durch das sie ein weiches Band gezogen hatte. »Es enthält ein Palliativ, das ein Bekannter des Pfa r rers aus Cambridge geschickt hat«, sagte sie. »Laut seiner Anweisung soll man es so aufhängen, dass es auf die linke Brustwarze des Kranken fällt, also u n gefähr über seinem Herzen, weißt du.«
    »Aber was ist drin?«, fragte ich hoffnungsvoll.
    »Nun ja, äh, ich habe mich bezüglich des Inhalts erkundigt und war nicht überzeugt, dass es viel nü t zen könnte … Aber der Mann, der es schickte, ist ein angesehener Arzt und sagt, es sei eine Medizin, von der die Florentiner Ärzte, die ja eine große Erfahrung mit der Pest haben, viel halten.«
    »Aber was ist es?«, fragte ich erneut.
    »Es enthält eine getrocknete Kröte«, sagte sie. Daraufhin weinte ich, obwohl ich wusste, dass sie nur Gutes im Sinn hatte. Ich konnte nicht anders.
    Elinor Mompellion brachte auch Essen mit, o b wohl ich nichts davon hinunterbrachte. Sie saß bei mir und hielt meine Hand und flüsterte mir irgen d welche Worte zu, von denen sie dachte, ich könnte sie ertragen. Erst später erfuhr ich – damals kreisten meine Gedanken nur um meinen eigenen Kummer –, dass sie nach langen Stunden bei mir zur nächsten Haustüre ging, zu Mary Hadfield, deren Mutter g e kommen war, um sie wegen ihres großen Verlustes zu trösten und nun selbst krank darnieder lag. Und von dort über die Straße zu den Sydells, bei denen es drei Bettlägrige gab, und weiter zu den Hawk s worths, wo die schwangere Jane krank neben ihrem Mann Michael lag.
    Fünf Tage litt Jamie, ehe Gott es endlich für ric h tig befand, ihn zu sich zu nehmen. Am Tag seines Todes erblühten diese seltsamen Kreise auf ihm: Ringförmig zeichneten sich hellrote Striemen unter seiner obersten Hautschicht ab. Binnen Stunden wurden sie violett und dann dunkelpurpurn und b e kamen harte Krusten. Es sah aus, als würde sein Fleisch inwendig bereits sterben, während er noch atmete. Verwesendes Fleisch schob sich stoßweise aus seinem immer schwächer werdenden Körper. Beide Mompellions kamen, als sie erfuhren, dass e r neut diese Pestzeichen aufgetreten waren. Jamie lag auf einem Notlager vor dem Herd, in dem ich ein kleines Feuer gegen die Abendkühle entzündet hatte. Ich saß am Kopfende, bettete Jamies Kopf in meinen Schoß und streichelte seine Augenbrauen. Der Herr Pfarrer kniete sich auf den harten Sandsteinboden und begann zu beten. Seine Frau glitt stumm vom Stuhl und kniete sich neben ihn. Ich hörte die Worte wie aus weiter Ferne.
    »Allmächtiger Gott und allergnädigster Vater, ne i ge Dein Ohr unserem Flehen, und lass Dein Auge schauen das Elend Deines Volkes. Siehe, wir rufen zu Dir um Gnade. Zügle deshalb Deinen Arm, und lass nicht den Pfeil des Todes los, der dieses Kind in sein Grab schickt. Rufe Deinen Engel des Zorns z u rück, und lass dieses Kind nicht unter dem schweren Hieb dieser entsetzlichen Pest fallen, die nunmehr unter uns weilt …« Das Herdfeuer warf einen wa r men Schein auf das kniende Paar, dessen Köpfe, dunkel und hell, sich dicht nebeneinander neigten. Erst am Ende des Gebetes hob Elinor Mompellion die A u gen und sah mich an. Ich schüttelte den Kopf, wä h rend mir die Tränen übers Gesicht liefen. Da wusste sie, dass ihr Mann vergebens gebetet hatte.
    An die folgenden Tage habe ich keine Erinnerung. Ich weiß, dass ich gegen den Küster kämpfte, als er kam, um Jamies Körper fortzubringen. Dass ich in meinem verstörten Zustand unter lauten Schreien versuchte, ihm die Leinenbinden abzukratzen, aus Angst, er könne nicht durch sie atmen. Ich weiß, dass ich viele Male zur Kirche ging. Ich sah, wie Jamie dort neben Tom in die Erde gelegt wurde, und dann Mary Hadfields Mutter und drei von den Sydell-Kindern und der Mann von Jane Hawksworth und danach ihr Sohn, der zu früh auf die Welt kam und einen Tag

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