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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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ausstreckte und mich hochzog. Wer das war, sah ich zunächst nicht.
    Es war Anys Gowdie. Da sie den ganzen steilen Weg vom Dorf herauf gerannt war, atmete sie schwer und verschwendete kein Wort. Offensichtlich hatte ihr irgendjemand genau berichtet, was hier los war, denn sie hatte sich ein neues Seil um die Taille g e bunden, das sie um die Rolle der alten Seilwinde schlang und am Göpel befestigte. Anschließend glitt sie ins glitschige Dunkel hinunter. Die anderen w a ren vor ihr zurückgewichen, aber nun drängten sie vorwärts und lugten in die Grube hinunter. Einer von ihnen taumelte gegen mich und drückte mich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers in die Knie und gegen einen Felsen. Mit aller Macht rammte ich ihm einen Ellbogen in die Seite und schob ihn zurück. Nachdem ich mir das Blut aus den Augen gewischt hatte, schaute ich angestrengt in den Einstieg hinu n ter, wo ich lediglich die Haare von Anys ausmachen konnte, die sich hell vom schwarzen Wasser abh o ben. Es platschte laut, dann begann sie mit dem Au f stieg. Ihre Tante hatte sie sich auf den Rücken g e bunden. Zum Glück waren viele Trittbretter noch stabil genug, um so viel Gewicht zu tragen. Als sie sich dem Rand näherte, griffen Mary Hadfield und ich nach unten, packten ihre Arme und zogen sie das letzte Stück herauf.
    Mary und ich legten Mem auf die Erde, und Anys drückte gegen ihre Brust, genau wie die Missetäter vor wenigen Minuten. Dunkles Wasser sprudelte aus ihrem Mund. Die alte Frau atmete nicht. »Sie ist tot!«, jammerte Mary, und das verstörte Grüppchen stimmte ein. Anys beachtete sie gar nicht, sondern kniete sich neben den Körper, legte ihren Mund auf den ihrer Tante und atmete hinein. Ich kniete neben ihr und zählte mit. Nach dem dritten Mal hielt Anys inne. Mem Gowdies Brust hob sich von selbst. Stö h nend spuckte sie und schlug die Augen auf. Die E r leichterung, die ich empfand, hielt nur einen winz i gen Moment an, denn dann begann Lib mit irrsinn i ger Stimme zu schreien: »Anys Gowdie hat die Tote wieder auferweckt! Sie ist die wahre Hexe! Packt sie!«
    »Lib!«, schrie ich, erhob mich taumelnd vom B o den neben Mem und packte sie bei beiden Armen. »Sei keine Närrin! Wer von uns hat noch nicht den Mund an ein frisch geborenes Lamm gelegt, das nicht atmete?«
    »Halt du deinen Mund, Anna Frith!«, brüllte Lib, schüttelte meine Arme ab und machte gleichzeitig einen Schritt auf mich zu. Ihr Gesicht war nur noch wenige Zoll von meinem entfernt. »Du hast mir doch selbst erzählt, diese Hexe habe mit dem Satansbraten verkehrt, der die Pest hierher gebracht hat! Weißt du denn nicht, dass Viccars ein Hexer war? Und sie war sein Weibsbild!«
    »Lib!«, rief ich, wobei ich sie an den Schultern packte und schüttelte. »Red nicht so über den untad e ligen Toten! Liegt nicht der arme George Viccars genauso im Grab wie dein Mann?«
    Hasserfüllt musterten mich ihre starren Augen.
    Mittlerweile ertönten aus jedem verzerrten Mund Schreie wie »Hure«, »Drecksstück« und »Schla m pe«. Der Mob drängte dorthin, wo Anys neben ihrer Tante kniete, und fiel mit Zähnen und Klauen lei b haftig über sie her. Nur Mary Hadfield hielt sich mit schmerzerfülltem Gesicht zurück. Anys war stark und wehrte sich gegen ihre Angreifer, und ich ve r suchte, ihr zu helfen. Immer wieder packte ich einen um den anderen und zog sie weg, bis sich mir erneut alles im Kopfe drehte. Dann schrie Urith Gordon los.
    »Ich kann mich nicht in ihren Augen sehen! H e xenzeichen! Hexenzeichen! Sie hat meinen Mann verhext, damit er mit ihr schläft!« Daraufhin b e gann John Gordon wie ein Besessener auf sie losz u gehen. Ich packte ihn am Unterarm und versuchte, ihn von ihr wegzuzerren, aber inzwischen lief mir das Blut aus der Platzwunde an der Schläfe. Es pochte in me i nem Schädel, sodass alles zugleich grell und dunkel erschien. Da wusste ich, dass ich gegen seine Raserei machtlos war. Muss Mompellion holen, war mein letzter Gedanke. Aber noch während ich mich u m drehte, um fortzulaufen, versetzte mir jemand e i nen Hieb, dass ich der Länge nach hinfiel.
    Stöhnend versuchte ich aufzustehen, aber meine Gliedmaßen wollten mir nicht gehorchen. Ich sah, wie sich die Schlinge um Anys’ Hals legte, und ich wusste, dass sie sie mit ihrem eigenen Seil aufhängen wollten und dabei den Göpel als Galgen benutzten. Doch was dann geschah, sah ich nicht vorher: Anys Gowdie hörte auf, sich zu wehren, und richtete sich zu ihrer ganzen eindrucksvollen

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