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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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würde. Wut stand nun darin zu lesen, aber auch Enttäuschung. Und langsam dämmerte ein trauriges Verstehen herauf. Jetzt musste ich we g schauen, denn dieser Anflug von Kümmernis war mehr, als ich ertragen konnte. Oh, eines wusste ich: Für mein Schweigen würde ich bezahlen. Und doch konnte ich nicht für ihn sprechen oder, besser gesagt, ich wollte es nicht.
    Füße scharrten, Gemurmel machte sich breit. Denn nun begriffen die Männer, dass ich stumm blieb. Als Alun Houghton überzeugt war, dass ich kein Wort sagen würde, forderte er mit erhobener Hand Schweigen. Als die Männer verstummten, hob er an: »Josiah Bongt , Diebstahl ist für Knappen ein wunder Punkt. Mühen sie sich doch oft fernab ihrer Beha u sungen ab und müssen zu Zeiten ihr schwer errung e nes Erz unbewacht an einsamen Orten zurücklassen. Deshalb steht in unserem Codex darauf eine so grimmige Strafe, dass selbst gierige Hände zurüc k schrecken. Deine Hände waren ungewöhnlich gierig. Daher belegt dich dieses Gericht mit diesem uralten Rechtsmittel: Man schaffe ihn von hier zur Grube der Unwins, wo man ihn mit einem Messer durch beide Hände an deren Göpel anpfähle.« Houghtons Blick wanderte zu seinen eigenen großen behaarten Hä n den hinunter, die auf dem Tisch lagen. Er hob sie, ließ sie wieder fallen, schüttelte seinen massigen Schädel und sagte: »So sei’s denn.« Seine Stimme hatte nichts mehr vom feierlichen Gestus eines Bergmeisters an sich. Es war nur noch die eines alten Mannes.
    Im schwindenden Tageslicht schafften sie meinen Vater fort. Später erfuhr ich, dass er beim Anblick des geschwärzten Göpels wimmerte, der sich aus der Schneekruste auf dem Moor erhob. Ich erfuhr, dass er vergebens um Gnade gefleht und wie ein Tier in der Falle aufgeheult hatte, als ihm der Dolch das Fleisch teilte.
    Nach alter Tradition lässt man den Verurteilten unbewacht zurück, nachdem die Messer an Ort und Stelle sind. Man geht davon aus, dass binnen kurzem einer aus seiner Verwandtschaft kommt, um ihn zu befreien. Ich glaubte, Aphra würde dies tun. Nie kam mir in den Sinn, sie würde es nicht tun. Denn ich hä t te meinen Vater nicht so sterben lassen, egal, was ich für ihn empfand.
    In jener Nacht ging der Schnee in Regen über. G e gen Morgen schüttete es mit solcher Macht, dass die Erde von den Hügeln rutschte und sich in die Flüsse ergoss, bis sie als braune Sintflut über die Ufer tr a ten. Den ganzen nächsten Tag prasselte das Wasser wie aus einem immer wieder neu gefüllten Eimer schräg gegen meine Fenster. Sogar die Straße wurde zum Fluss. Das Wasser schwappte gegen die Häuser und lief unter den Türschwellen durch, bis jeder ve r fügbare Stoff fetzen zu durchweicht war, um es am Eindringen zu hindern. Wer die Türe öffnete, ließ die Sintflut herein. Jeder Schritt ins Freie durchnässte uns bis auf die Haut. Deshalb ging jeder nur im ä u ßersten Notfall irgendwohin.
    Wahrscheinlich starb mein Vater, während er auf Aphra wartete und bis zum letzten Augenblick auf sie hoffte. Sonst hätte er es sicher wie ein Wolf g e macht. Hätte sich die eigenen Hände zerfetzt und sich von den Klingen Fleisch und Sehnen durchtre n nen lassen, um sich so seine Freiheit zu erkaufen – und sein Leben. Vielleicht war er durch das Trinken schon so verwirrt, dass er nicht merkte, wie die Zeit verstrich. Vielleicht fiel er vor Schmerz in Ohnmacht und spürte deshalb nicht, wie sich die klamme Kälte in seinen Körper stahl und seinen Herzschlag bis zum Stillstand verlangsamte. Nie werde ich genau wissen, unter welchen Umstä n den ihn der Tod ereilt hat. Aber ich stelle mir seinen Körper vor, den der Regen mit Nadeln peitscht, bis das klatschnasse Fleisch pocht. Ich sehe, wie er seinen Mund wie e i nen Becher öffnet, in den es rinnt und rinnt, bis das Wasser überläuft.
    Denn Aphra kam nicht. Sie konnte nicht. Auf e i nen Schlag waren drei ihrer vier Kinder an jenem Tag an der Pest erkrankt. Die dreijährige Faith war die Einzige, die es nicht traf. Wäre einer der älteren Buben verschont geblieben, hätte sie ihn um Hilfe schicken können. Aber dazu hatte sie keinen. Und so entschied sie, ihre Kinder nicht in der einsamen Hü t te zu lassen, während der Regen das Strohdach durchnässte und das Feuer ausging. Sie entschied, sich nicht auf den langen Weg hinauf ins Moor zu dem Mann zu machen, dem sie die Schuld daran gab, dass er sie mit dieser Krankheit angesteckt hatte.
    Den ganzen langen Tag und auch am nächsten kam niemand

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