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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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beigebracht. Flüchtig dachte ich daran, die Schafe in den Pferch zu bri n gen, ehe sich der Sturm zusammenbraute, den dieser wunderschöne Himmel ankündigte.
    Lautes Gebrüll ließ mich zusammenfahren. Eine Gestalt aus einem Albtraum tauchte auf, mit einer klaffenden Wunde quer über dem Schädel und blu t verkrusteten, verfilzten Haarsträhnen. Sie war von Kopf bis Fuß mit Dreckbatzen und Lehm ve r schmiert und bis auf die zerfetzten Reste eines Le i chentuchs, das sie hinter sich herzog, nackt. Wieder schrie diese Gestalt auf, und mir wurde bewusst, dass sie den Namen meines Vaters rief. Mein erster G e danke war, dass eines der flachen Gräber meines V a ters einen von den Toten Auferstandenen ausg e spuckt hatte, ein Rachegespenst. Aber mein Verstand sagte mir, dass dies nicht möglich war, und mir dämmerte, dass es sich um Christopher Unwin ha n delte.
    Auf Christophers Geschrei hin waren meine Nac h barn aus i hren Katen gekommen. Auf ihren Gesic h tern stand blankes Entsetzen. Daraufhin lief ich zu ihm hin und beschwor ihn, mit hineinzukommen, wo ich seine Wunden versorgen könne. »Nein, Mistress, ich will nicht. Was mich am meisten schmerzt, liegt außerhalb Ihrer Heilkunst.« Jetzt ve r suchte ich, ihn am Arm zu nehmen, aber er schüttelte mich ab und suchte stattdessen an der rauen Wand Halt.
    »Ihr Vater hat heute Nacht versucht, mich im Schlaf umzubringen. Als ich in meinem Bett erwac h te, sah ich gerade noch, wie sein Spaten auf mich herabfuhr. Und wie ich dann erneut zu mir kam, lag ich in meinem Grab! Dieser Satansbraten hat mich einfach dorthin gelegt. Zu meinem Glück hat er mich vor lauter Gier nach meinem Besitz nur mit einer dünnen Schicht Erde bedeckt, die nicht genügte, um mich ganz zu ersticken. Außerdem bin ich Knappe und habe keine Angst davor, mit dem Gesicht im Boden zu liegen.« Hier nickten die umstehenden Männer. »Trotzdem«, fuhr Christopher fort, »musste ich wie ein Maulwurf rudern, um freizukommen. E i nes sage ich euch: Der wird noch heute Dreck fressen und nie wieder das Morgenlicht sehen!«
    »Genau!«, schrie gellend eine Stimme von der a n deren Straßenseite. »Genau! Höchste Zeit, dass man diesem Schurken das Handwerk legt!« Inzwischen sammelten sich immer mehr Menschen an, wie Garn, das sich von selbst um die Spindel wickelt. Irgen d jemand hatte einen Umhang geholt und Christopher übergeworfen. »Ich danke dir«, stieß er zwischen seinen blutverkrusteten Lippen hervor. »Dieses Schwein hat nicht nur versucht, mir mein Leben zu rauben. Sogar die Kleider, in denen ich schlief, hat er mir gestohlen.«
    Als sie in Richtung der Hütte meines Vaters d a voneilten, fühlte ich mich wie gelähmt. Inzwischen waren es ihrer zehn oder zwölf. Ich stand nur da, re g los. Ich warnte ihn nicht, holte nicht Mister Mompe l lion, unternahm nichts zu seiner Rettung.
    Ich stand nur da. Mein einziger Gedanke galt dem stechenden Schmerz, den seine Faust hervorrief, und seinem stinkenden Atem. Ich stand da, bis der Mob über den Hügel und außer Sichtweite war. Und dann ging ich nach drinnen und rüstete mich für meine Tagesarbeit.
     
    Am frühen Nachmittag fegte der Sturm herein, der sich am Morgen angekündigt hatte. Von Nordosten blies er, mit Schneeschauern, die in einzelnen Wellen wie die Blätter eines Briefes, die einem ein Windstoß aus der Hand reißt, durchs breite Tal trieben. Es war ein seltenes Schauspiel. Wie angewurzelt stand ich ganz oben im Obstgarten und starrte auf die langsam näher rückende Wand, die sich weiß von den dahi n ter liegenden schwarzen Wolken abhob.
    Dort war ich auch, als sie mich suchen kamen, e i ne Schar Bergleute. Wie damals in jener Nacht, als Sam starb, stapften sie durch die Bäume hügelan. Diesmal ging Alun Houghton voran. Man wolle mich, meinte er, als Zeugin vor dem Berggericht h a ben, für das, was ich im Haus der Unwins gesehen hatte. »Und um Ihren Vater zu verteidigen, wenn Sie wollen.«
    »Bergmeister, ich möchte nicht gehen.« Nach Alun Houghtons tiefer rauer Stimme wirkten meine Worte seltsam gewichtslos. Der Wind trug sie fort. »Es gibt nichts, was ich sagen möchte. Alles, was ich gesehen habe, haben andere auch gesehen. Bitte, ve r langen Sie das nicht von mir.«
    Aber Houghton ließ sich nicht abweisen. Und so machte ich mich mit diesen Männern auf den Weg, während wütendes Schneetreiben über uns herei n brach. Sie würden über das Schicksal meines Vaters entscheiden. In der Hauertaverne. Einen besseren Ort gab

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