Das Peter-Prinzip
frühere Autor. Bei der Beobachtung
von Fällen einer Neurose, Angst, psychosomatischen Erkran‐
kung, Amnäsie und Psychose sah er die quälenden Symptome
dessen, was wir als allgemeine Lebensunfähigkeit bezeichnen
können.
Diese Lebensuntüchtigkeit führt natürlich zu starker Fru‐
stration. Freud, im Grunde seines Herzens ein Satiriker, zog es
vor, diese Frustration vor allem mit Begriffen aus dem Bereich
der Sexualität zu beschreiben, also etwa mit dem Penisneid, dem Kastrationskomplex und dem Ödipuskomplex. Er deutete
85
— anders ausgedrückt — an, die Frauen wären frustriert, weil
sie keine Männer seien; die Männer, weil sie keine Kinder zur Welt brächten; die kleinen Jungen, weil sie nicht ihre Mütter heiraten könnten usw.
Freud griff deshalb daneben, weil er dachte, dass Frustration
aus der Sehnsucht nach einer wünschenswerten Situation her‐
rührt (Mann oder Vater sein, die Mutter heiraten, den Vater zum Mann haben usw.). Anders ausgedrückt, sah er darin ein Verlangen nach Beförderung. Die Hierarchologie zeigt uns jetzt,
dass die Frustration umgekehrt eine Folge des Aufstiegs ist.
Freud übersah dies wegen seiner überwiegend nach innen
gerichteten Betrachtungsweise. Er beschränkte sich darauf, zu erforschen, was im Innern seiner Patienten vor sich ging (oder
das, von dem er glaubte, dass es vor sich ging). Umgekehrt beschäftigt sich die Hierarchologie mit dem, was in der Umwelt
des Patienten geschieht. Sie studiert das soziale Gefüge, in dem
der Mensch existiert, und erklärt deshalb realistisch das Verhal‐
ten des Menschen innerhalb dieser Ordnung. Während Freud
seine Tage damit verbrachte, in den dunklen Winkeln des
Unbewussten herumzustöbern, habe ich meine Bemühungen
dem beobachtbaren und messbaren menschlichen Verhalten
gewidmet.
Die freudianischen Psychologen und ihr Versagen beim
Studium des menschlichen Verhaltens könnte man mit jeman‐
dem vergleichen, der einen elektronischen Computer sieht und
ihn zu begreifen versucht, indem er Spekulationen über seine innere Struktur und Funktionsweise anstellt, ohne zu fragen, wofür dieses Gerät benutzt wird.
Dennoch sollte Freuds Pionierleistung nicht geschmälert
werden. Obgleich er vieles missverstand, entdeckte er anderer‐
seits auch viel. Er sah ständig in seine Patienten hinein und wurde berühmt durch seine überzeugende Theorie, dass der
Mensch sich seiner eigenen Motivationen nicht bewusst ist,
seine eigenen Empfindungen nicht versteht und sich deshalb
86
auch nicht von seiner Frustration befreien kann. Die Theorie war unanfechtbar, weil niemand bewusst und rational über
Natur und Inhalt seines Unbewussten diskutieren konnte.
Mit einem Anflug professioneller Genialität erfand Freud die
Psychoanalyse und redete dabei den Patienten ein, er könne ihnen das Unbewusste bewusst machen.
Doch dann ging er zu weit. Er psychoanalysierte sich selbst und behauptete, er sei sich seines eigenen Unbewussten bewusst. (Einige Kritiker meinen heute, das Einzige, was er jemals
geleistet habe, sei gewesen, seinen Patienten sein eigenes, näm‐
lich Freuds, Unbewusstes bewusst gemacht zu haben.) Auf
jeden Fall sägte er mit dieser Selbstanalyse den Ast ab, auf dem
er saß.
Wenn Freud die Hierarchologie erfasst hätte, würde er diesen
letzten Schritt vermieden und damit niemals die Stufe seiner Unfähigkeit erklommen haben.
Indem er so das gewaltige Gebäude, das er auf der Undurch‐
dringlichkeit des Unbewussten errichtet hatte, selbst untermi-nierte, bereitete Freud den Weg für S. Potter, seinen großen Nachfolger.
Potter war ebenso wie Freud ein satirischer Psychologe (oder
ein psychologischer Satiriker). Man kann ihn ohne Bedenken
neben Freud stellen, was die Schärfe der Beobachtung und die
Kühnheit anbetrifft, mit der er eine bildhafte und einprägsame
Terminologie schuf, um zu beschreiben, was er sah.
Wie Freud beobachtete und klassifizierte Potter zahlreiche
Erscheinungsformen der Frustration. Die Grundstimmung der
Frustration nannte er «eins‐runter» sein, und das überschwäng‐
liche Gefühl, das die Beseitigung der Frustration auslöst,
bezeichnete er als «eins‐hoch» sein. Er nimmt an, dass dem Menschen ein angeborener Hang innewohnt, aus dem ersten in
den zweiten Zustand hinüberzuwechseln. Die Technik dieser
Bewegung taufte er «Eins‐Hochkommen».
87
Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Männern ist
der, dass Potter Freuds
Weitere Kostenlose Bücher