Das Peter-Prinzip
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1. Hierarchische Regression
Die Aufgabe, die neuen Mitglieder der menschlichen Rasse
zu formen und vorzubereiten, erfüllt die Gesellschaft durch die
Schule. Ich habe das typische Schulsystem hinsichtlich der
Lehrer, die in ihm arbeiten, bereits untersucht. Nun wollen wir
sehen, wie die Schule die Kinder beeinflusst.
Das alte Schulsystem war ein Musterbeispiel für das Peter‐
Prinzip. Ein Schüler wurde so lange von Klasse zu Klasse ver‐
setzt, bis er seine Stufe der Unfähigkeit erreicht hatte. Dann hieß es, er sei sitzen geblieben, und er musste das Schuljahr wiederholen. Er musste also auf seiner Stufe der Unfähigkeit bleiben. In manchen Fällen wuchs seine Kompetenz in dem
Wiederholungsjahr, weil seine geistigen Fähigkeiten zunahmen.
Dann war eine Versetzung möglich. In anderen Fällen blieb er
wieder sitzen und musste die Klasse von neuem durchmachen.
(Hier muss man anmerken, dass dieses «Versagen» das Glei‐
che ist, was wir im Berufsleben «Erfolg» nennen — nämlich das
Erreichen der Endplatzierung auf der Stufe der Unfähigkeit.)
Den Vertretern der Schulbehörde gefällt dieses System ganz
und gar nicht. Sie glauben, dass die Vielzahl unfähiger Schüler
das Niveau der Schule drückt. Ein Verwaltungsbeamter sagte
mir: «Am liebsten würde ich alle schlechten Schüler versetzen und die guten durchfallen lassen. Dann würden die Leistungen
steigen, und wir würden bessere Prüfungsergebnisse erzielen.
Die Ansammlung unbegabter Schüler senkt die Durchschnitts‐
leistungen.»
Eine so extreme Ansicht würde wohl kaum allgemein akzep‐
tiert werden. Um trotzdem eine Anhäufung von Unfähigen zu
vermeiden, haben die Schulbehörden die Taktik entwickelt, alle
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zu versetzen — die unfähigen Schüler ebenso wie die fähigen.
Die psychologische Rechtfertigung dafür finden sie in der
Erkenntnis, dass man den Schülern damit das schmerzliche
Erlebnis des Versagens erspart.
Was sie wirklich tun, ist die Anwendung der geräuschlosen
Sublimierung auf unfähige Schüler.
Das Ergebnis dieser allgemein angewandten geräuschlosen
Sublimierung ist, dass das Abitur heute denselben schulischen Leistungen entspricht, die früher in der Unterprima erreicht wurden. Im Laufe der Zeit wird das Niveau auf die Leistungen
in der Obersekunda, Untersekunda usw. absinken.
Dieses Phänomen bezeichne ich als hierarchische Regression.
Die Folgen der hierarchischen Regression
Examen, Diplome und Universitätsgrade verlieren ihren
Wert als Maßstab für die Kompetenz. Unter dem alten System
wussten wir, dass ein Schüler, der die achte Klasse nicht geschafft hatte, wenigstens bis zur siebten erfolgreich war. Wir wussten, dass ein Student, der im ersten Semester «gescheitert»
war, zumindest das Abitur besaß usw.
Heute kann man das nicht mehr voraussetzen. Die heutigen
Zeugnisse beweisen nur noch, dass ein Schüler fähig war, eine gewisse Anzahl von Schuljahren über sich ergehen zu lassen.
Das Abitur, früher ein weithin anerkanntes Zeugnis der
Kompetenz, ist heute nur noch ein Dokument der Inkompetenz
für die verantwortungsvollsten, gut bezahlten Posten. ∗
Nicht anders steht es mit der Universität. Staatsexamen und
Diplome haben an Wert verloren. Lediglich die Promotion ver‐
∗ Es muss angemerkt werden, dass die hierarchische Regression kein Problem ist, das erst in der Gegenwart existiert. Vor langer Zeit wurde jeder, der lesen und schreiben konnte, für die wichtigsten Stellungen als geeignet angesehen.
Dann entdeckte man, dass es eine wachsende Zahl schreibkundiger Narren gab, und die Arbeitgeber schraubten ihre Anforderungen an das Bildungsniveau höher. Alle neuen Examen galten zunächst als Befähigungsausweis, bis sie schließlich in den Ruf gerieten, nur noch den Grad der Unfähigkeit zu bescheinigen.
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leiht noch die Aura der Kompetenz. Aber ihr Wert wird durch
die Einführung von Examen, die über den Doktorgrad hinaus‐
gehen, fortwährend vermindert. Wie lange wird es dauern, bis
auch die Nach‐Doktorate als Zeugnis der Unfähigkeit
betrachtet werden und der ernsthafte Streber sich durch Nach‐
nach‐ und Nach‐nach‐nach‐Doktorprüfungen hindurchkämp‐
fen muss?
Die Eskalation erzieherischer Bemühungen steigert das
Tempo des Abstiegs. Viele Universitäten arbeiten heute bei‐
spielsweise nach dem gleichen Schüler‐Lehrer‐System (ältere
Studenten unterrichten jüngere), das vor fünfzig Jahren in
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