Das Phantom im Opernhaus
wir die Bilder bundesweit verkaufen, reicht das sogar für die Finanzierung Ihrer Hochzeitsreise.«
Paul konnte nicht anders, als die Ohren zu spitzen. »Worum geht’s denn?«, fragte er mit gespieltem Desinteresse.
»Darum, dass Sie das große Finale für mich ablichten! Machen Sie Bilder davon, was passiert, wenn der Vorhang gefallen ist! Ich will die Verhaftung von Irena! Und zwar live und in Farbe!«
Paul fühlte sich brüskiert. »Was? Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?« Er musterte den Reporter voller Argwohn. »Ich soll die Verhaftung einer Kollegin für Sie fotografieren? Den Augenblick ihrer größten Erniedrigung?« In Paul kochte die Wut hoch. »Sie sind wirklich ein eiskalter Hund, Blohfeld! Woher wissen Sie überhaupt, dass Irena heute Abend nach ihrem Auftritt …« Paul biss sich auf die Lippen.
»Bis eben wusste ich es nicht definitiv«, gab der Reporter unumwunden zu. »Nun aber, da Sie mir letzte Gewissheit verschafft haben, können Sie den Auftrag auch annehmen. Legen Sie endlich Ihre Skrupel ab, Flemming! Zu viel Gefühlsduselei verursacht nur Magenbeschwerden.«
»Danke für Ihre Ratschläge, aber ich kann darauf verzichten«, gab Paul verbittert von sich.
Blohfeld packte ihn unvermittelt an den Armen und sah ihm fest in die Augen: »Hören Sie auf mich, Flemming! Erledigen Sie diesen Job, denn niemand anderes wird so dicht an das Geschehen rankommen wie Sie! Das wird die Story des Jahres! Eine Verhaftung auf offener Bühne – ein wahres Schlachtfest für die Presse!«
Paul entzog sich Blohfelds Griff und schob den mit Eigelb gesprenkelten Speck an den Tellerrand. »Auf so ein Schlachtfest kann ich verzichten. Mir ist der Appetit vergangen.«
Paul trennte sich von dem Reporter, ohne dass sie übereingekommen wären. Da halfen weder Blohfelds Schmeicheleien noch die Drohung, Paul künftig nicht mehr mit Zeitungsjobs zu versorgen – Paul ließ sich diesmal nicht erweichen. Er wollte nicht vom Unglück eines anderen Menschen profitieren. Und natürlich spielte in seinen Überlegungen auch eine Rolle, was Katinka dazu sagen würde, wenn er sein Insiderwissen und seine momentane Position an der Oper für Blohfelds Zwecke missbrauchte. Das wäre gar kein guter Start in die Ehe!
Um Dampf abzulassen und seinen aufgestauten Groll gegen Blohfeld loszuwerden, entschied er sich für einen strammen Fußmarsch zum Opernhaus. Bei der Gelegenheit wollte er nachschauen, wie es um die Vorbereitungen für den Abend stand, und sicherstellen, dass die Akkus seiner Kameraausrüstung geladen waren.
Er hatte sein Ziel schon vor Augen, als er in Höhe des Kartäusertors angesprochen wurde. Paul sah zur Seite und erkannte in dem kleinen, drahtigen Herrn im Trenchcoat niemand Geringeren als Eduard Ascherl. Der Weißhaarige neigte höflich den Kopf und stellte sich in aller Form vor. Dann sagte er: »Wenn ich nicht irre, sind Sie unser neuer Fotograf.«
»Der neue Bühnenfotograf, ja, das ist richtig«, antwortete Paul und fragte sich, was Ascherl wohl von ihm wollte.
Der durch und durch seriös wirkende Herr trat näher an Paul heran: »Man munkelt, dass Sie einen guten Draht zur Staatsanwaltschaft haben.«
»In gewisser Weise könnte man das sagen«, bestätigte Paul mit wachsamer Zurückhaltung.
»Wie wäre es, wenn Sie diesen guten Draht für uns zum Glühen bringen?«
»Für uns?« Paul zog die Brauen zusammen.
»Für unsere Oper«, präzisierte Ascherl. »Es kann nicht angehen, dass angesehene Mitglieder des Ensembles verdächtigt und eines Verbrechens bezichtigt werden ohne jedweden stichhaltigen Beweis.«
Paul sah sein Gegenüber verblüfft an. Ahnte oder wusste Ascherl, dass Irenas Freiheit am seidenen Faden hing? Woher? Wer hatte da geplaudert? Doch noch während Paul den honorigen Herrn in seinem feinen Zwirn betrachtete und den überlegenen Gesichtsausdruck des einflussreichen Machtmenschen auf sich wirken ließ, dämmerte ihm, dass Männer von Ascherls gesellschaftlicher Stellung die nötigen Verbindungen besaßen, um über die wesentlichen Dinge stets im Bilde zu sein. Ausweichend sagte Paul: »Ich habe keinen Einfluss auf die Ermittlungen der Polizei.«
Ascherl hob seine rechte Hand und legte sie sachte auf Pauls Ärmel. »Sie sehen doch selbst, dass die Ermittler im Nebel stochern. Sie suchen händeringend nach einem Bauernopfer, das sie als Täter ins Blitzlichtgewitter der Presse zerren können.« Er schmunzelte. »Eine Weile stand sogar ich auf ihrer Liste.«
Paul
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