Das Phantom im Opernhaus
sich bei ihr alles wegen des Balls«, suchte er nach einer harmlosen Erklärung.
»So wird es wohl sein«, sagte Katinka, und Paul merkte an ihrer Stimme, dass sie mit ihren Gedanken bereits ganz woanders war.
27
Das Tempo der Ereignisse zog merklich an, als Paul noch längst nicht so weit war: Er beschäftigte sich gerade damit, einige aktuelle Fotodatensätze von seinem Rechner auf eine externe Festplatte zu übertragen und dafür eine möglichst logische Ordnerstruktur anzulegen, als das Telefon das erste Mal klingelte: Blohfeld unternahm einen neuen Versuch, ihn unter Druck zu setzen. Eindringlich ermahnte er Paul, während des Balls und vor allem danach ja die Augen aufzusperren und seine Kamera schussbereit zu halten. Paul speiste ihn so freundlich ab, wie er es über sich brachte, und setzte sich wieder vor seinen Computer.
Das zweite Klingeln folgte keine fünf Minuten später. Katinka, die ganz anders klang als vor ein paar Stunden, meldete sich aufgeregt: »Paul, hast du kurz Zeit? Vielleicht kannst du helfen.«
»Worum geht es?«, fragte er bereitwillig.
»Die Dorfner ist noch immer unauffindbar. Du kennst sie mittlerweile doch recht gut: Hast du eine vage Vorstellung davon, wo sie sich aufhalten könnte?«
Paul war etwas überrascht, dass Katinka das ausgerechnet ihn fragte. »Nein, leider nicht. Aber das soll nichts heißen: An der Oper gibt es sicher viele andere, die sie besser kennen als ich.«
»Ja, ja, du hast recht. Ich hätte es mir denken können, dass du da keine große Hilfe bist. Also, nichts für ungut. Bis später.«
»Moment!«, rief Paul in den Hörer, um Katinka am Auflegen zu hindern. »Was machen denn eure Nagelproben? Seid ihr bei Irena fündig geworden?«
»Nein. Bisher Fehlanzeige«, antwortete Katinka fahrig.
»Das heißt, dass es heute Abend keine Verhaftung geben wird?«
»Noch heißt das gar nichts«, antwortete sie schroff. »Ein Zugriffskommando der Polizei wird diskret in Stellung gebracht. Alles Weitere entscheidet sich kurzfristig.«
»Katinka«, sagte Paul sanft und eindringlich zugleich, »handle bitte nicht überstürzt.«
»Sicher nicht. Ich hoffe nur, dass unsere Mörderin sich deinen Ratschlag ebenso zu Herzen nimmt. Andernfalls finden wir womöglich sehr bald Opfer Nummer drei.«
Paul wusste sofort, auf wen Katinka anspielte: »Paula Dorfner?«, fragte er beklommen.
»Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber wir müssen diese Möglichkeit in Betracht ziehen.« Paul hörte, wie sie Luft holte. »Wenn wirklich Irena dahinter steckt, dann kann sie auf kein mildes Urteil hoffen.«
Paul konnte nicht anders, als Katinka im Stillen zuzustimmen. Die Verdachtsmomente gegen Irena wogen mittlerweile so schwer, dass es an Fahrlässigkeit grenzte, sie länger frei herumlaufen zu lassen. Doch behagte es Paul noch immer nicht, seinen Blickwinkel so sehr einzuschränken und nur eine Person ins Visier zu nehmen.
Als sie das Gespräch beendet hatten, holte er noch einmal den Schuhkarton voller Playmobilfiguren hervor und breitete sie auf seiner gläsernen Schreibtischfläche aus. Wie schon beim letzten Mal ordnete er allen irgendwie Beteiligten ein eigenes Männchen zu und sortierte diese in verschiedene Gruppen ein. Die Figuren, die die beiden Toten symbolisierten, legte er hin, Irenas Figur stellte er als Haupttatverdächtige direkt daneben. In einiger Entfernung platzierte er Frau Haas als ebenfalls in Frage kommende Kandidatin und stellte ihren Mann sowie die Figur von Eduard Ascherl dazu – für den Fall, dass die Nagellackspur im Sand verliefe und somit die Männer als potenzielle Mörder wieder ins Spiel kämen. Auch Beleuchter Hans bekam eine Figur zugeteilt, die in den Kreis der Verdächtigen eingereiht wurde. Sängerin Britta und Psychologin Glossner bildeten eine weitere, unbeteiligte Gruppe, zu der er zunächst auch Maskenbildnerin Dorfner stellen wollte. Dann aber zögerte er. Denn die echte Paula Dorfner war ja verschwunden, sodass ihre Figur im schlimmsten Fall zu den Opfern gelegt werden musste. Oder aber …
Paul kam ein beängstigender Gedanke: Was, wenn die Dorfner aus freier Entscheidung untergetaucht war? Was, wenn sie etwas zu verbergen hatte? Denn konnten die Nagellackspuren nicht auch von ihr stammen? Er konzentrierte sich und führte sich die Fakten vor Augen, die ihm über Paula Dorfner bekannt waren: Da waren zunächst die ersten Eindrücke, die er gesammelt hatte: ihre stechenden Augen, das unterschwellig Bösartige in ihrem
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