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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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Vollkommenheit versprochen, sondern nur die Chance dazu gegeben, sie zu erlangen. Er hat die Wahl und die Chance, aber er steht nicht unter Zwang. Ich habe seine Entscheidungsfreiheit unangetastet gelassen. Manche entscheiden sich dafür, den von mir vorgezeichneten Weg zu gehen; die meisten ziehen es vor, ihre Vergnügungen im Hier und Jetzt zu suchen. Viele verstehen darunter, Mitmenschen zum Spaß oder zur eigenen Bereicherung Schmerzen zuzufügen. Ich sehe das, gewiß, aber ich werde es nicht ändern.«
    »Aber warum, Herr, kann ein Mensch nicht ein besseres Wesen sein?«
    »Hör zu, Joseph, wie sähe sein Leben auf Erden aus, wenn ich die Hand ausstreckte, seine Stirn berührte und ihn vollkommen machte? Kein Kummer, also keine Freude. Keine Tränen, kein Lächeln. Kein Schmerz, keine Linderung. Keine Fesseln, keine Freiheit. Kein Versagen, kein Triumph. Keine Grobheit, keine Höflichkeit. Keine Bigotterie, keine Toleranz. Keine Verzweiflung, kein Jubel. Keine Sünde und
auch keine Erlösung. Ich würde hier auf Erden ein Paradies schaffen, das mein himmlisches Königreich überflüssig machen würde. Und das ist nicht im Sinne Gottes. Deshalb muß der Mensch sich frei entscheiden können, bis ich ihn heimrufe.«
    »Du hast sicher recht, Herr. Aber ich würde den Reichtum dieses Erik sehr gern für einen besseren Zweck verwenden.«
    »Vielleicht gelingt dir das.«
    »Aber es muß einen Schlüssel dazu geben.«
    »Natürlich, es gibt immer einen Schlüssel.«
    »Doch ich sehe ihn nicht, Herr.«
    »Du hast mein Wort gelesen. Hast du es nicht verstanden?«
    »Zuwenig, Herr. Hilf mir, ich bitte Dich, hilf mir!«
    »Der Schlüssel ist Liebe, Joseph. Der Schlüssel ist immer Liebe.«
    »Aber er liebt Christine de Chagny.«
    »Also?«
    »Soll ich sie ermutigen, ihr Eheversprechen zu brechen?«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Dann verstehe ich nicht, was du meinst.«
    »Wart’s ab, Joseph, wart’s ab. Manchmal braucht man ein bißchen Geduld. Dieser Erik macht dir also angst?«
    »Nein, Herr, nicht er. Als ich ihn auf dem Dach gesehen und später beobachtet habe, wie er aus dem Spiegelkabinett geflüchtet ist, habe ich bei ihm ein Gefühl des Zorns, der Verzweiflung und des Schmerzes gespürt, aber keine Bösartigkeit. Böse ist der andere.«

    »Erzähl mir von diesem anderen.«
    »Nach unserer Ankunft in dem Vergnügungspark auf Coney Island sind Christine und Pierre mit dem Funmaster in das Spielzeuggeschäft gegangen. Ich bin im Freien geblieben, um einen kurzen Strandspaziergang zu machen. Als ich danach zurückgekommen bin, ist Pierre mit einem jungen Mann zusammen gewesen, der ihn herumgeführt und ihm ins Ohr geflüstert hat. Ein kreidebleiches Gesicht, schwarze Augen, schwarzes Haar, ein schwarzer Gehrock. Ich habe ihn für den Geschäftsführer des Ladens gehalten, aber der Funmaster hat mir später erzählt, er habe ihn an diesem Morgen zum erstenmal in seinem Leben gesehen.«
    »Und du hast ihn nicht gemocht, Joseph?«
    »Darum ist es nicht gegangen, Herr. Er hatte etwas an sich, eine Kälte, die mich erschauern ließ. Oder ist das nur meine Einbildung gewesen? Er hatte eine Aura des Bösen, die mich veranlaßt hat, ganz instinktiv Dein Zeichen zu machen. Ich habe Pierre aus seinen Fängen befreit, und er hat mich finster und haßerfüllt angestarrt. Das ist unsere erste Begegnung an diesem Tag gewesen.«
    »Und die zweite?«
    »Ungefähr eine halbe Stunde später habe ich den Jungen in die Kutsche gesetzt und war gerade auf dem Rückweg, als sich eine kleine Tür in der Außenwand des Gebäudes öffnete und er herausgestürmt kam. Er ist zuerst an dem näher am Gebäude stehenden Reporter vorbeigerannt und dann an mir. Noch bevor er seine wartende Kutsche erreicht hatte und verschwinden
konnte, ist er stehengeblieben und hat mich nochmals angestarrt. Die Wirkung war die gleiche wie beim erstenmal: Ich hatte das Gefühl, der ohnehin schon kalte Tag sei um zehn Grad kälter geworden. Mich hat gefröstelt. Wer ist er gewesen? Was will er?«
    »Du meinst offenbar Darius. Hast du den Wunsch, auch ihn zu erlösen?«
    »Ich glaube nicht, daß ich das könnte.«
    »Du hast recht. Er hat seine Seele dem Mammon verkauft, er bleibt sein ewiger Knecht, bis er eines Tages zu mir kommt. Er hat Erik dem Gott des Goldes zugeführt. Aber Darius kann nicht lieben. Das ist der Unterschied.«
    »Aber er liebt Gold, Herr.«
    »Nein, er betet Gold an. Das ist etwas anderes. Auch Erik betet es an, aber irgendwo in den Tiefen

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