Das Pharma-Kartell
Alpine.“
Samat zieht einen Notizblock vom Schreibtisch heran und schreibt sich den Namen auf.
„Meiner Ansicht nach wäre es voreilig, wenn Sie ihn vernehmen wollten“, sage ich vorsichtig. Ich möchte mich nicht in Ihre Arbeit einmischen, habe aber das Gefühl, dass sich durch diesen Unbekannten für mich schwer voraussehbare Komplikationen ergeben könnten.
„Haben Sie festgestellt, wer er ist?“
Samat’ Gesicht verfinstert sich leicht, dann sagt er: „Ja. Ein gewisser Toby O’Sullivan, ein Ire. Ist vor einer Woche angekommen und im Hotel Tiramis abgestiegen. Bekannte hat er nicht.“
„Und zu welchem Zweck ist er gekommen?“
„Zu welchem Zweck… Historische Interessen! Er ist ebenso sehr Historiker wie ich ein…“
Er lächelt sauer und vollendet den Satz nicht. Die Angaben sind, versteht sich, falsch.
„Ein Historiker mit Pistole!“, knurrt er feindselig.
„Ein echter Historiker also!“, schließe ich. „Keine Verwandten, keine Bekannten, kommt einfach her, um sich umbringen zu lassen. Haben Sie übrigens seinen Tod bekannt gegeben?“
„Nein, natürlich nicht. Es hätte die Ermittlungen stören können. Der Leichnam ist in der Kammer. Dort kommt man nur mit meiner Genehmigung hinein.“
Das Telefon klingelt, Samat spricht, ich erhebe mich halb und nehme meine Fotos an mich, um sie noch einmal zu betrachten. O’Sullivan also. Der Blick dieses sogenannten O’Sullivan fließt nicht von Sympathie für mich über – das ist offensichtlich.
Samat beendet das Gespräch, und der Ärger auf seinem Gesicht wird von düsterer Gereiztheit abgelöst.
„Ich muss sofort ins Hotel’“, sagt er. „Jemand ist vor der Einsatztruppe dort gewesen.“
Dieselbe Handschrift also! Wenn ich an den Besuch in Larcheys Zimmer denke, ist das nicht sehr verwunderlich.
Samat sieht auf die Uhr und hat es auf einmal eilig.
„Halb eins! Ich wage nicht, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen, aber wenn Sie meinen, dass da ein Zusammenhang mit Ihrem Fall besteht…“
Der besteht, natürlich. O’Sullivans Blick geht mir nicht aus dem Sinn. Nur, worin der Zusammenhang besteht, weiß ich noch nicht.
Hotel Tiramis
Trotz seines hochtönenden Namens ist das Hotel Tiramis ein zweitklassiges Unternehmen, eins von denen, die die Illusion von Luxus hervorrufen wollen, wo man aber sofort bemerkt, dass bei dem großen Spiegel im Foyer an den Rändern der Belag abgeht und die Treppe ausgetreten ist.
Viel Zeit für Beobachtungen bleibt freilich nicht, weil Samat die Treppe zur zweiten Etage hinaufstürmt, wo O’Sullivans Zimmer ist. Die beiden Männer in Uniform, die wir dort antreffen – fast noch Jungen – unterbrechen das Fotografieren und die Tatbestandsaufnahme und berichten.
In den nächsten fünf Minuten steht bereits fest, dass uns tatsächlich jemand zuvor gekommen ist. In diesem Zimmer mit den darin vorhandenen Dingen hätte jeder Mann wohnen können, der isst, schläft, sich regelmäßig rasiert und sich mit unbekannten Dingen befasst. Von historischen Interessen natürlich keine Rede. Keinerlei Dokumente, keine Quittung, keine alten Fahrscheine. Als hätte jemand die Sachen des sogenannten O’Sullivan sorgfältig Stück für Stück durchgesehen und alles mitgenommen, was auf die Identität des Ermordeten hinweisen könnte.
Samat ist natürlich wütend, gibt sich aber Mühe, es nicht zu zeigen. Er hat seine Gründe – die Ermittlungen in einem Mordfall fangen mit einer Schlappe an.
Hier bin ich überflüssig, besser, ich kehre ins Werk zurück.
Ich mache mit Samat aus, dass wir in Verbindung bleiben, und gehe hinaus, vom liebenswürdigen Lächeln des Geschäftsführers begleitet. Es gibt Leute, die die Kunst, nur mit den Lippen zu lächeln, bis zur Vollendung beherrschen.
Über die Stadt ist die gleiche Hitze glocke wie gestern gestülpt. Ich bin schon jetzt fix und fertig, in Schweiß gebadet, und beneide ein paar sonnenverbrannte, halb nackte Kinder von Herzen, die in der menschenleeren Straße mit einem mageren Hündchen spielen. In Wahrheit ist die Straße gar nicht ausgestorben, das Leben hat sich nur in den Schatten verkrochen. Auf der anderen Straßenseite sind ein paar kleine Läden für Souvenirs und gehämmerte Gefäße. Sie haben die Rollläden fast ganz heruntergelassen, doch die Türen stehen in vergeblicher Erwartung von Kunden offen.
Ich hole den Stadtplan heraus, möchte mich orientieren, wo ich bin. In einer Straße oberhalb des Kais, nicht weit von Mollys Café, das ich mir
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