Das Philadelphia-Komplott
das dem Senator gesagt. Und der Polizei.”
“Aber aus irgendeinem Grund hat Lilly das nicht geglaubt.”
Ana schaute verletzt. “Ich habe nicht gelogen.”
“Ich bin sicher, dass Sie das nicht getan haben. Hat Lilly mit Ihnen gesprochen?”
“Nein. Ich wusste von ihr und ihrer Entführung nichts, bis ich es im Fernsehen sah.”
Also hatte Lilly keine Gelegenheit mehr gehabt, mit Ana zu sprechen.
“Würde es Ihnen etwas ausmachen, noch einmal den Unfallhergang zu schildern?”
Anas Mundwinkel verzogen sich, und sie blickte ein wenig verstimmt, aber sie nickte. “Was wollen Sie wissen?”
“Erzählen Sie mir genau, was passiert ist. Genau so, wie Sie sich daran erinnern.”
Ana nahm ein trockenes Tuch von einem kleinen Regal an ihrem Stand und begann, die Theke zu putzen, die das eigentlich gar nicht nötig hatte, weil sie schon blitzblank war. “Ich kam vom Haus meiner Mutter in Allentown. Sie ist alt und es geht ihr nicht gut. Ich machte mir Sorgen. Sie wissen, wie das ist.”
Syd nickte, um zu zeigen, dass sie verstand.
“Es ist nicht gut, sich Sorgen über die Lieben zu machen. Dann passt man nicht auf.” Sie seufzte. “Ich habe das Auto des Senators zu spät gesehen. Ich …”, sie machte eine unbestimmte Bewegung mit ihrer kleinen Hand und suchte nach dem richtigen Wort.
“Sie kamen ins Schlingern?”
“Ja, genau – ich kam ins Schlingern. Das andere Auto versuchte, zu bremsen, aber …” Bei der Erinnerung begann ihre Stimme, zu zittern.
“Haben Sie den Senator gleich erkannt?”
Sie nickte erneut. “Oh ja. Ich habe ihn schon oft im Fernsehen gesehen.”
“Und Sie sind sicher, dass er
nicht
gefahren ist?”
“Ganz sicher. Ich habe seine hübsche Tochter hinter dem Steuer gesehen.”
“Ist sie ausgestiegen?”
“Ja. Das arme Kind. Sie war sehr traurig.”
“Was hat der Senator gemacht?”
“Die Polizei angerufen. Ich habe ihnen gesagt, dass der Unfall mein Fehler war.”
“Ich habe gehört, dass Ihr Auto abgeschleppt werden musste. Wie sind Sie nach Hause gekommen?”
“Die Polizei hat mich mitgenommen.” Sie lächelte. “Netter junger Mann. Sehr höflich.”
“Und der Senator konnte noch fahren?”
“Ja. Sein Auto war nicht so sehr beschädigt.”
Syd überlegte, wie weit sie Anas Geduld noch strapazieren konnte. “Wirkte die Tochter des Senators, als ob sie etwas getrunken hatte?”
Ana sah sie entsetzt an. “Getrunken? Alkohol?” Als Syd nickte, schüttelte sie energisch ihren Kopf. “Nein! Wo haben Sie das gehört? Ich habe so etwas nie gesagt.”
“Nein, nein”, stieß Syd hervor, “ich meinte nicht, dass Sie so etwas gesagt haben. Ich war nur neugierig.”
“Nein, kein Alkohol. Armes Mädchen, so traurig. Sie lief ins Gebüsch, weil ihr schlecht geworden war, wissen Sie.” Sie machte eine Geste, die verdeutlichte, was sie meinte.
Syd war nicht überrascht. Das Mädchen war noch jung, erst siebzehn. So ein Unfall kann einen schon dazu bringen, sich zu übergeben. Aber andererseits hätte es auch am Alkohol liegen können.
“Was ist am nächsten Tag passiert?”, fragte sie.
“Ich bin zur Polizei, habe meine Aussage gemacht und unterschrieben.”
“Waren der Senator und seine Tochter anwesend?”
“Nein. Die Polizei hat ihn in seinem Haus aufgesucht.”
Aha, der Vorteil, ein Präsidentschaftskandidat zu sein.
Nachdem sie sich bedankt und eine Flasche Wasser gekauft hatte, ging Syd leicht enttäuscht fort. Sie hatte erwartet, dass Ana Lee ihren Fragen ausweichen oder sich in Widersprüche verstricken würde, was den Unfallhergang betraf. Doch beides war nicht geschehen. Die Frau hatte die Wahrheit erzählt – zumindest so weit, wie sie sie kannte.
Sollte an diesem Unfall doch mehr dran sein, so wie Lilly es vermutet hatte, dann würde Syd diese Informationen selbst herausfinden müssen.
9. KAPITEL
V on seinem Zimmer im vierten Stock des Double Tree Hotels an der Broad Street aus beobachtete Jake die breite Straße, die die Einwohner Philadelphias stolz ‘Allee der schönen Künste’ nannten, und nahm den vertrauten Anblick in sich auf. Er sah die hundertfünfzig Jahre alte Musikakademie, seit Jahren unangefochten die große alte Dame der Broad Street, die sich inzwischen ihren Platz mit dem Kimmel Center teilte, einem monströsen Bau aus Stahl und Glas, der das Philadelphia Orchester beheimatete. Nicht ganz einen Block entfernt priesen das Wilma und das Merriam Theater beliebte Broadway-Shows an und lieferten sich einen
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