Das Portal der Dämonen - Connolly, J: Portal der Dämonen - The Gates
schon immer Angst gehabt, dass ihnen das Dach eines Tages auf den Kopf fallen würde oder die Ziegelsteinmauern einstürzten. Nun schien es, als würden seine schlimmsten Befürchtungen wahr.
»Was war das?«, fragte der Messdiener. »Ist ein Dachziegel runtergefallen?«
»Es klang, als sei es etwas Schwereres gewesen als ein Dachziegel«, sagte Pfarrer Ussher, der klein und dick war. Um genau zu sein, waren sowohl der Pfarrer als auch der Messdiener klein und dick. Die beiden hatten die Zwillinge Tweedledum und Tweedledee in Alice im Wunderland gespielt oder in dem Stück, was die Theatergruppe des Ortes daraus gemacht hatte, und die beiden waren in ihren Rollen sehr überzeugend gewesen.
Die zwei gingen zum Hauptportal der Kirche und schlossen es auf. Sie wollten gerade ins Freie treten, als ein kleiner verdutzter Wasserspeier aus Stein von einer Stechpalme heruntertrudelte und dabei langsam mit seinen schweren Flügeln schlug. Es war ein ziemlich hässliches Wesen, viel hässlicher als ein Durchschnittswasserspeier. Bischof Bernard der Böse höchstpersönlich hatte über seine Herstellung gewacht, so wie er sich auch um alle anderen Einzelheiten des Kirchenbaus gekümmert hatte. Deshalb war die Kirche ein so unheimliches und düsteres Gebäude, und deshalb waren auch all die Menschen und Tiere, die in das Mauerwerk der Kirche gemeißelt waren, fratzenhaft und gruselig.
Der Pfarrer und der Kirchendiener sahen verdattert zu, wie sich der Wasserspeier am Kopf kratzte. Kleine blaue Blitze zuckten über seinen Körper. Dann hustete er und spuckte etwas aus, das wirkte wie alte Taubenfedern.
Der Wasserspeier war durcheinander. Er hatte zwar Flügel, aber er schien damit nicht fliegen zu können. Als er zum Leben erweckt worden war, hatte er sofort versucht, sich elegant in die Lüfte zu schwingen. Unglücklicherweise neigen steinerne Gebilde nicht gerade dazu, voller Anmut zu fliegen, und deshalb war der Wasserspeier einfach von seinem Sockel gepurzelt. Und obgleich er nicht sehr intelligent war, kannte er doch den Unterschied zwischen Fliegen und Fallen. Und jetzt kannte er zudem noch den Unterschied zwischen einer graziösen Landung und einem harten Aufschlag.
Es kamen immer mehr Wasserspeier heruntergetrudelt, einer hässlicher als der andere. Einer streifte einen Baum und zerbarst, aber die meisten schienen den Aufprall mehr oder minder unbeschadet zu überstehen. Sobald sie sich von dem Schlag erholt hatten, versammelten sie sich vor dem Haupteingang der Kirche, wo Pfarrer Ussher und Mr Berkeley starr vor Staunen standen. Sie wären vielleicht auch noch länger dort stehen geblieben, hätte nicht ein scharfkantiger Mauerstein den Messdiener seitlich am Kopf gestreift.
»Tja, jetzt stecken Sie in Schwierigkeiten«, sagte jemand. Mr Berkeley blickte nach links und sah, dass die dort in den Stein gehauenen Gestalten nun ebenfalls zum Leben erwacht waren. Gesprochen hatte der Kopf eines Mönches, der das Kinn in die Hände gestützt hatte. Zumindest hätten seine Hände das Kinn stützen sollen, aber eine davon hatte soeben ganz unzweifelhaft einen Steinbrocken an den Kopf des Messdieners geworfen.
Mr Berkeley tippte dem Pfarrer auf die Schulter.
»Der Mönch an der Wand spricht mit uns«, sagte er.
»Ach«, antwortete der Pfarrer. Er wollte überrascht klingen, aber es gelang ihm nicht ganz.
»He«, rief der steinerne Mönch. »Ihr beiden Dickerchen. Habt ihr nicht gehört, was ich gesagt habe? Ihr steckt ganz schön in Schwierigkeiten.«
»Weshalb denn?«, fragte der Pfarrer und wandte den Blick von den herannahenden Wasserspeiern ab.
»Ende der Welt«, antwortete der steinerne Mönch. »Tore der Hölle öffnen sich. Der Große Böse kommt. Der Große Verderber. Möchte nicht in eurer Haut stecken. Er mag keine Menschen.«
Der steinerne Mönch schien einen Augenblick lang über etwas nachzusinnen.
»Genau genommen mag er niemanden, aber am wenigsten mag er Menschen.«
»Wenn ich mich nicht irre«, sagte der Pfarrer, »dann gehörst du zum Figurenschmuck der Kirche. Solltest du nicht auf unserer Seite stehen?«
»Nö«, entgegnete der steinerne Mönch. »Die Bosheit des Bischofs hat uns angesteckt. Nicht einmal wenn wir wollten, könnten wir freundlich zu euch sein.«
»Die Bosheit des Bischofs?«, fragte Pfarrer Ussher. Er dachte einen Moment lang darüber nach, bis ein weiteres Stück des Mauerwerks mit Wucht auf den Pfarrer zugeflogen kam und er einen Schritt zur Seite machen musste, um nicht
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