Das Prinzip Uli Hoeneß
Uli, »dass du immer den großen Bruder rauskehren musstest – und ich natürlich dagegenhalten wollte. Das wurde erst besser, als ich dich körperlich eingeholt hatte. Vorher war ich für euch alle doch immer nur der ›Dürre‹.« So richtig wollte es aber auch dem erwachsenen Dieter nie gelingen, aus der Rolle des kleinen Bruders herauszufinden, wohl nicht zuletzt deshalb, weil er weder als Spieler noch als Manager an Ulis Erfolge heranzureichen vermochte. Der Berliner »Tagesspiegel« schrieb über das Verhältnis des Hertha- zum Bayern-Manager: »So einen Schatten kann sich kein jüngerer Bruder wünschen, erst recht nicht in derselben Branche. Verständlich, dass Dieter nicht gern an seinem älteren Bruder gemessen wird.« Sein Licht unter den Scheffel stellen musste Dieter aber eigentlich schon lange nicht mehr – bei den Bayern war er mit seinen Toren zum »Mister Europacup« geworden, er hatte den Titel eines Vizeweltmeisters errungen und als Manager mit dem VfB Stuttgart die Meisterschaft erreicht sowie Hertha BSC zu einer festen Größe in der Bundesliga gemacht.
Aber die Schieflage im Bruder-Verhältnis war ja noch nicht alles. Dieter, ein besserer Psychologe als sein Bruder, erklärte Uli einmal seine Sicht des damaligen Geschehens mit folgenden Worten: »Was glaubst du, wie manche Spieler und Journalisten reagieren, wenn ihnen ein 27-jähriger Manager präsentiert wird? Es gab einige Leute, die dich nicht mochten. Die haben auf meinem Rücken ausgetragen, was sie mit dir nicht ausmachen konnten. Einen Manager kann man halt nicht so leicht packen wie einen Spieler, der mindestens einmal pro Woche auf dem Prüfstand steht. Und dann wurde ständig Mauschelei vermutet, weil ich, der junge Nationalspieler, für nur 175.000 Mark Ablöse zum FC Bayern gegangen war.« Die Problemlage wurde erst entspannter, nachdem sich Dieter auf dem Platz zu einem Leistungsträger entwickelt und schließlich auch die Fans von sich überzeugt hatte. Uli freute sich und bedauerte: »Wenn er nicht mein Bruder gewesen wäre, sondern ein ganz normaler Spieler bei uns, hätte ich ihm entschieden mehr geholfen.«
Frust und Lust mit den Talenten
Es waren spezielle Gründe, die Uli Hoeneß daran hinderten, seinen Bruder zu loben, und insofern muss dieser Fall von seiner grundsätzlichen Aversion gegen Lobhudeleien unterschieden werden. Wenn er das Gefühl bekam, ein Spieler werde zu sehr in den Himmel gehoben, zeigte er fast immer Symptome einer Allergie gegen Jubelarien. »Der FC Bayern besteht nicht allein aus Ballack«, herrschte er einmal einen Journalisten an. »Seine Person wird zu sehr hochgespielt«, witterte er negative Folgen für die Gruppendynamik, denn wenn ständig nur über Ballack gesprochen werde, führe das zu einem schlechten Betriebsklima. Noch weitaus giftiger wurde er, wenn Nachwuchskräfte hochgejubelt wurden. »Junge Spieler werden heute zu schnell als Stars gepriesen, auch zu schnell wieder fallengelassen«, verkündete der selbst noch junge Manager bereits im August 1979 eine Grundüberzeugung, die für ihn in den folgenden Jahrzehnten eine Handlungsanleitung bleiben sollte. Man dürfe die jungen Spieler weder zu künftigen Superstars stilisieren noch zu stark kritisieren. »Es gibt zu wenig Leute, die sich vor junge Talente stellen, sie sich entwickeln lassen«, meinte er und wollte es selbst besser machen.
Immer wieder ermunterte er etwa Anfang der neunziger Jahre den jungen Karlsruher Michael Sternkopf, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu fassen. Einmal stellte er den labilen jungen Mann unmittelbar vor dem Anpfiff eines Spiels heftig zur Rede – mit Erfolg, wie er meinte. »Ich habe da einiges ausgeräumt, ihm erklärt, dass ich nichts gegen ihn habe und dass mir seine langen Haare völlig wurscht sind. Aber man kann sich gewisse Extravaganzen nur leisten, wenn man auch entsprechend extravagante Leistungen bringt. Ich habe ihm gesagt, er soll weiter an sich arbeiten, sich freimachen, endlich ein Mann werden. Und wenn er spielt, dann soll er Sternkopf spielen, nichts anderes. Gegen Düsseldorf hat er’s dann endlich getan.« Trotz einiger guter Spiele war alle Mühe letztlich umsonst. Hoeneß resümierte resigniert: »Er hatte eines überhaupt nicht: Selbstkritik. Du konntest ihm nichts sagen, und dann war er nicht bereit, hart an sich zu arbeiten.«
Wenn die Leistung unbefriedigend blieb, stellte Hoeneß seine Sorgenkinder schon mal mit deftigen Worten an den Pranger. Schlagzeilen machte
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