Das Prinzip Uli Hoeneß
durchaus möglich. Weit über 1.000 Produkte hatten die Münchner inzwischen im Angebot, und jede Woche wurden neue Lizenzverträge abgeschlossen. »Außer Kondomen gibt es bei uns fast alles«, frohlockte Hoeneß. Es gab Bettwäsche, Schlafanzüge, Armbanduhren, Terminplaner, Feuerzeuge, Teppiche, Tapeten und sogar Christbaumkugeln für einen Bayern-Weihnachtsbaum zur stimmigen Abrundung bei der feierlichen Bescherung mit Bayern-Geschenken. Fehlte eigentlich nur noch eine Bayern-Weihnachtskrippe mit Terrakotta-Figuren: der jeweils aktuelle Starspieler als Wechsel-Jesus, Hoeneß und Rummenigge als Maria und Josef sowie Beckenbauer, Maier und Müller als Heilige Drei Könige. Uli Hoeneß hätte sich bestimmt auch als Schoko-Weihnachtsmann gut verkauft, oder als Plastik-Gartenzwerg mit Bayern-Zipfelmütze, Fanschal und roter Stadionjacke, wahlweise im Kombination mit einem Meisterschalen-Osterhasen.
Die naive Frage eines Interviewers, wozu man überhaupt ein so riesiges Fanartikel-Angebot benötige, beantwortete der Bayern-Manager mit entwaffnender Schlichtheit: »Weil es den Markt dafür gibt.« Die Lizenznehmer erhoffen sich, dass die Käufer unter den zur Auswahl stehenden Produkten gezielt zu denen greifen, die mit den Farben und dem Emblem des Vereins – so der werbesprachliche Fachausdruck – »gebrandet« sind. Dass Bayern-Trikots und -Schals getragen werden, wenn man zum Bayern-Spiel ins Stadion geht, ist unmittelbar einsehbar. Dass ein Jugendlicher, der bei der Gestaltung seines Zimmers mitreden darf, keine beliebige Tapete wählt, sondern die mit seinen Idolen drauf, ist ebenfalls noch nachvollziehbar. Aber warum kauft ein Mann eine Bayern-Uhr oder einen Bayern-Wein?
Nach Hoeneß’ Auffassung wird dem Fan, der solche Bayern-Artikel kauft, etwas geboten, was andere Produkte nicht können, nämlich sich immer und überall »als Fan zu outen«. Ein »echter« Bayern-Fan möchte seine Zugehörigkeit demonstrieren, und viele wollen das nicht nur im Stadion tun. Das allein ist offensichtlich ein Wert, der den Fan für ein Bayern-Trikot ein Vielfaches von dem bezahlen lässt, was ein »ungebrandetes« Textil kosten würde. Prinzipiell, so Hoeneß, gehe es aber beim Merchandising nicht um Zusatzinvestitionen, sondern um eine Auswahl. »Ich habe die FC-Bayern-Weihnachts-CD. Die wird bei uns an Heiligabend gespielt. Wenn ich die nicht hätte, hätte ich vielleicht die von Bing Crosby. Genauso ist es mit den Trikots oder den Christbaumkugeln. Ich kann rote dranhängen oder weiße. Oder welche vom FC Bayern.« Als entscheidendes Faktum bleibt – und das ist wohl der Clou der Sache –, dass Merchandising selbst auf gesättigten Märkten noch zusätzliche Umsätze möglich macht. Ein Bayern-Fan, der bereits genügend Handtücher im Schrank hat, bräuchte kein Bayern-Badetuch – aber weil er genau dieses haben will, kauft er es sich eben trotzdem.
Vorwürfe, der FC Bayern würde die Fans etwa mit der alljährlich neu aufgelegten Trikotkollektion unter Kaufzwang setzen, wies der Herr des Bayern-Supermarktes strikt zurück. Er halte es »nicht für schlimm«, meinte Hoeneß, wenn das neue schicke Trikot irgendwann »wie ein Oldtimer« werde. Tatsächlich tragen die Fans Trikots aus verschiedenen Phasen. Viele verzichten darauf, jedes Jahr das neueste Leibchen anzuschaffen, und behalten lieber ihre alten mit Namen von Kickern, die schon längst nicht mehr für die Bayern spielen. Der FC Bayern, so Hoeneß, nutze seine Position als Klub mit treuen Anhängern keineswegs aus, um die Umsätze zu steigern. »ManU hat fünf verschiedene Trikots gleichzeitig, wir haben nur zwei, plus das Champions-League-Trikot. Ich finde nicht, dass wir dem Fan ein Problem bereiten«, meinte er. »Wir haben nie gesagt, wer kein Trikot kauft, ist kein richtiger Fan. Das ist doch Demokratie.« Der FC Bayern biete Produkte an, und jeder Mensch sei völlig frei, eines zu kaufen – oder eben nicht. »Wir bewegen uns auf einem freien Markt, der Käufer kann selber entscheiden.«
Das tat der denn auch: Recht schnell stießen die Bayern an die Grenzen der Expansionsmöglichkeiten. Ende der neunziger Jahre ließen Kaufkraft und Kaufwille der Fans deutlich nach, und ein irritierter Hoeneß, der dafür keine rechte Ursache fand, prangerte grimmig eine Zunahme des Schwarzhandels an. Der spielte aber sicherlich nur marginal eine Rolle. Fakt war, dass die Wachstumsprognosen schlicht und einfach weitaus zu hoch gegriffen waren. Immerhin, stellte
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