Das Prinzip Uli Hoeneß
Das war Klassenkampf, reine Ideologie: wir die arroganten Millionarios, sie die Underdogs der Bundesliga. Wie er vor unserem Spiel im Weserstadion die Leute aufgehetzt hat, ist beispiellos. Schon allein die Art und Weise, wie im Stadionheft von ihm ein Spieler wie Wiggerl Kögl angekündigt war. Mit der Überschrift ›Vom Senkrecht-Starter zum Tiefflieger‹. So stellt man einen Gegner nicht vor.« Aber Hoeneß machte nun auch selbst auf Klassenkampf gegen den vormaligen Geschäftsführer des SPD-Landesverbandes Bremen. »Der muss lernen, dass er nicht mehr bei der SPD ist, die nur an zweiter Stelle steht und hoffentlich noch lange dort stehen wird.«
Spätestens mit dieser Replik war eine Art »Eiserner Vorhang« in der Bundesliga gefallen: Auf der einen Seite die »linken« Bremer, auf der anderen die »rechten« Bayern. Was aber natürlich im Grunde gar nicht stimmte, stellte Hoeneß klar: Er müsse »darüber lachen, wenn der Lemke vom Kapitalisten-Klub FC Bayern redet. Werder zahlt manchen Spielern mehr als wir, aus welchen Quellen auch immer. Wenn einer 300.000 Mark und mehr verdient, muss Herr Lemke ganz still sein.«
Willi Lemke, ein schmaler Mann mit schütterem Haar, zeichnete mit volltönender Rhetorik das überspitzte Bild des braven und aufrichtigen Arbeitervereins, der als Anwalt der Schwachen und Interessenswahrer des gesamten Restes der Liga den Kampf aufnimmt gegen die bösen und snobistischen Kapitalisten aus München und ihren Anspruch auf Monopolisierung von Geld und Macht. Im Stile eines »Retters des Fußballs« griff er in seinem Kampf immer wieder dieselben Thesen auf. These 1: Die Bayern sind der einzige Verein in Deutschland, »der so viel Geld hat, sich x-beliebig mit Spielern zu verstärken«. These 2: Die Bayern schwächen gezielt die Konkurrenz, indem sie ständig versuchen, »den kleineren Vereinen Starspieler abzuwerben«. These 3: Durch ihre Mehreinnahmen, sei es durch ihre marktbeherrschende Position oder durch ein Plus bei den Fernsehgeldern, werden die Bayern immer reicher und konkurrenzloser, sodass sich ein Bild abzeichnet wie in der Gesellschaft, in der die Reichen »immer reicher, die Armen immer ärmer« werden. These 4: Die Bayern wollen »die Bundesliga monopolartig beherrschen« und gefährden damit deren sportlichen Reiz. Schließlich und endlich war Lemke ein Dorn im Auge, dass der Bayern-Manager sich als »Erfinder des Fußballs« aufspiele und alle anderen herablassend wie »Schuljungen« behandle, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten. »Mir ist es wichtig«, so Lemke zu seiner eigenen Position, »dass der Fußball insgesamt die Menschen begeistert und nicht einzelne Großvereine ihre Wirtschaftsmacht dazu missbrauchen, die Bundesliga in Langeweile und wirtschaftliches Chaos zu treiben.« Hoeneß hingegen, so lautete seine kräftigste Invektive, sei letztlich ein »Totengräber des Deutschen Fußballs«.
»Klar«, äußerte Hoeneß wenige Tage nach dem Meisterschaftsgewinn 1986 mit trotzigem Stolz, »dass man uns jetzt umso mehr mit Hass und Missgunst verfolgt. Deshalb muss unsere Konkurrenz größer und besser werden. Dann verteilen sich auch die Emotionen besser.« Nach der Titelverteidigung in der Saison 1986/87 – Platz zwei belegte mit sechs Punkten Rückstand der HSV, Bremen landete abgeschlagen auf Rang fünf – erschien es vielen so, als habe der FC Bayern das Glück auf ewig gepachtet und ein Abonnement auf den ersten Platz. Unter den Anhängern anderer Vereine breitete sich ein Gefühl der Ohnmacht aus, aber auch ein bis zum Hass gesteigerter Neid auf den Erfolgsverein aus dem Süden. Hoeneß, der mit Arroganz und Aggressivität auf die Ablehnung reagierte, die ihm und seinen Bayern entgegenschlug, vertiefte diesen Graben noch ganz bewusst. Er nahm die Herausforderung an und forcierte die Polarisierung seinerseits, unter anderem dadurch, dass er seine Spieler ab Herbst 1986 wieder in Lederhosen auftreten ließ. Die Konkurrenz könne sich gern wieder damit beschäftigen, »uns die Lederhosen auszuziehen«, grinste er grimmig in die Fernsehkameras. Als sie das dann in der Saison 1987/88 tatsächlich tat, war die Häme natürlich groß. Ihren Höhepunkt erreichte sie nach der 1:3-Niederlage der Bayern in Bremen, die nicht nur im Norden voller Freude zur Kenntnis genommen wurde. Dass die »Kleinen« bejubelt werden, kommentierte Willi Lemke verschmitzt, sei sportimmanent, »vor allem wenn die Großen vorher dicke Backen machen«. Uli Hoeneß verwies
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