Das Prinzip Uli Hoeneß
hatten sich die Hamburger absichtlich nicht angestrengt? Tatsache war zumindest, dass der HSV, ohne Ambitionen nach oben auf dem elften Rang im gesicherten Mittelfeld liegend, keine Anstrengungen mehr nötig hatte. Fakt war, dass wegen des laschen HSV die Entscheidung in einem Wimpernschlag-Finale am letzten Spieltag fallen musste. Die Münchner, mit der vermeintlich besseren Ausgangsposition, kamen bei den im Mittelfeld platzierten Schalkern nicht über ein 3:3-Remis hinaus, während Werder, wie schon 1986, das letzte Spiel in Stuttgart zu bestreiten hatte. Anders als damals ließen die Bremer jedoch nichts anbrennen und gewannen souverän mit 3:0.
In der Folgezeit wurde es etwas ruhiger zwischen den beiden Rivalen. Weil andere sich als Bayern-Konkurrenten profilierten – Dortmund, Leverkusen –, plätscherte der Konflikt zwischen Hoeneß und Lemke eher im Hintergrund, verstummen wollte er gleichwohl nie ganz. Bei jeder Aktion, in der er Hoeneß einen Vorteil für seine Bayern herausschinden sah, bei jedem Transfer eines Bremer Spielers nach München – selbst Trainer Rehhagel wurde ja eine Beute des Bayern-Managers – wiederholte Lemke seine alten Thesen und brachte alles in einen Zusammenhang mit seiner Gesellschaftsprognose, wonach die Kluft zwischen den Reichen und den Armen immer größer werde. Hoeneß hielt indes ebenso eintönig dagegen, dass in Bremen »der ganze Verein linksaußen und links« sei – bzw., hätte er genauer sagen sollen, so tut, als ob er es sei – und gleichzeitig der größte Kapitalist und in vielen Vermarktungsdingen die treibende Kraft. Tatsächlich war Lemke, dies nur nebenbei, ein findiger Verkäufer der Ware Fußball: Er war der erste deutsche Manager, der im Stadion teure Logen für das bessere Publikum einbauen ließ und Live-Spiele an einen Privatsender verkaufte. Seinen letzten Auftritt als wortgewaltiger Werder-Manager hatte Willi Lemke im Juni 1999, als die Bremer den DFB-Pokal mit 6:5 nach Elfmeterschießen gegen die Bayern gewannen. »Wir haben den Bayern gezeigt, dass sie mit Geld nicht alles kaufen können«, freute er sich in gewohnter Diktion. »Der Käfer hat heute den Ferrari geschlagen.« Den Rivalen im direkten Finalduell besiegt zu haben, das sei schon eine »Wahnsinnssache«. Die Bremer hätten langfristig trotzdem nichts zu melden, konterte Hoeneß mit der gewohnt bissigen Arroganz des Seriensiegers. »Wenn wirklich jemand etwas zu sagen hat, dann wir.«
Natürlich meldete sich Lemke auch im Verlauf der Daum-Affäre zu Wort und beharrte noch nach Daums Überführung darauf, dass Hoeneß mit der Art und Weise, wie er an die Öffentlichkeit gegangen war, dem deutschen Fußball schweren Schaden zugefügt habe. Der Bayern-Manager beschwerte sich vor dem am 28. Oktober 2000 angesetzten Spiel in Bremen lauthals, dass sein »Spezialfreund« Willi Lemke voller Absicht die Zuschauer aufgehetzt habe – und wurde dessen ungeachtet vom Publikum im Weserstadion mit den üblichen »Arschloch«-Rufen empfangen. Hoeneß’ Groll auf Lemke war selbst dann noch nicht entschärft, als der kurz darauf bei Werder ausschied, um in Bremen den Job eines Bildungssenators zu übernehmen. »Erstaunlich, dass ein Mann mit einem solchen Charakter Minister eines Bundeslandes werden kann und für die Erziehung zuständig ist«, lautete der staatsmännische Kommentar aus München.
Der Bremer Bildungssenator stieg Anfang 2003 anlässlich eines neuen Verhandlungspokers um die TV-Verträge wieder in die Arena. Hoeneß würde gar nicht mehr mitkriegen, was in Deutschland los sei, griff er die Millionenforderungen des Bayern-Managers an. Der konterte im DSF: »Ich glaube, ich kriege sehr viel mehr mit, was in Deutschland läuft. Ich stelle auch fest, dass das Land Bremen, wo er für die Schüler zuständig ist, in der Pisa-Studie an letzter Stelle ist.« Und weiter: »Ich glaube, er sollte sich eher darum kümmern als um die Fußballprobleme. Von denen hat er früher nichts verstanden und versteht er jetzt schon lange nichts mehr.«
Der Konflikt zwischen beiden endete schließlich in beidseitiger Ermattung. »Ich möchte mit ihm nie mehr was zu tun haben«, erklärte Hoeneß, und Lemke teilte ermüdet mit, er habe keine Lust mehr, sich weiter als erster Bayern- und Hoeneß-Kritiker vereinnahmen zu lassen. Nach der Bremer Meistersaison 2003/04 konnte Lemke es dann freilich nicht lassen, einen letzten Pfeil abzuschießen: Die Bayern seien »Pappnasen, die nur noch in den Medien eine
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