Das Prinzip Uli Hoeneß
Bayern noch profitieren konnte, und von daher mochte man der Hoeneß’schen Mildtätigkeit ein gewisses Eigeninteresse unterstellen. Anhand anderer Beispiele wird jedoch deutlich, dass solche Überlegungen bei seinem menschlichen Engagement nicht die entscheidende Rolle spielten. Weil es ihm ums Prinzip ging, kümmerte er sich auch um Spieler im Ruhestand und um solche, die keine Aussicht mehr hatten, jemals auf den Platz zurückzukehren. Als der »Bomber« Gerd Müller nach sechs Jahren in den USA mit schweren Alkoholproblemen nach München zurückgekehrt war, kümmerte sich Hoeneß mit größter Fürsorglichkeit um seinen ehemaligen Mitspieler. Er besorgte ihm einen Therapieplatz und stellte ihn, nachdem er die Entziehungskur erfolgreich hinter sich gebracht hatte, als Co-Trainer im Nachwuchs- und Amateurbereich des FC Bayern an. Ohne Hoeneß’ nachhaltige Hilfe wäre Müller wohl kaum wieder so auf die Beine gekommen. Im Fall des Stürmers Lars Lunde zeigte er sich ebenfalls als selbstloser Wohltäter. Der Däne hatte im April 1988 nach einem schweren Unfall zwei Wochen lang im Koma gelegen und seine Laufbahn beenden müssen. Der Bayern-Manager besuchte ihn als einer der Ersten im Krankenhaus, pflegte ihn später wochenlang bei sich zu Hause und übernahm die Kosten für die Rehabilitation. Lunde fand später in der Schweiz eine Anstellung als Krankenpfleger und empfindet bis heute große Dankbarkeit. Wie Lunde besaß auch Alan McInally keine private Versicherung für den Fall des Karriereendes. Im Jahr 1992 stand der zum Sportinvaliden gewordene ehemalige schottische Nationalspieler beinahe mittellos da – und in dieser Situation entschied sich der FC Bayern, ihm unter dem Etikett »Abfindung« ein großzügiges Geldgeschenk zu machen.
Im Januar 2007 musste der Bayern-Manager wohl eine seiner schwierigsten Pressekonferenzen überhaupt abhalten. Es ging um einen Spieler, der – obwohl mit 26 Jahren im besten Fußballeralter stehend – sich entschieden hatte, nie mehr als Profi anzutreten. »Wie sie da so dastanden«, schrieb die »SZ« über diesen Moment, »Uli Hoeneß und Sebastian Deisler, da wusste man nicht so recht, wer denn nun das größere Häuflein Elend ist.« Hoeneß hatte lange um den talentierten Spieler gekämpft und viele Gespräche geführt, doch der war, nach mehreren schweren Verletzungen und stationären Behandlungen wegen Depressionen, von seinem Entschluss nicht abzubringen. »So etwas hat es in dieser Form noch nie gegeben«, sagte Hoeneß. »Das, was ich die letzten zehn Tage erlebt habe, hat mit der Arbeit eines Managers wenig zu tun. Ich bin fassungslos.«
Er überlegte lange, wie er mit dieser Situation umgehen sollte, und beschloss dann mit seinen Vorstandskollegen, den Vertrag einfach ruhen zu lassen. Würde Deisler seine Karriere irgendwann doch fortsetzen wollen, sollte der bis 2009 laufende Vertrag wieder aktiv werden. Andere hätten den Vertrag wahrscheinlich einfach aufgelöst, Hoeneß jedoch schuf ein Hintertürchen für den Spieler. Deisler nutzte die Möglichkeit zur Rückkehr nicht und erklärte seinen Schritt später mit den Worten: »Mein Knie war kaputt und auch mein Kopf.« Er habe den Rummel um seine Person, das Hochjubeln zum Superstar, nicht verkraftet. »Ich habe nie die Zeit gehabt zum Wachsen, nie die Zeit, erwachsen zu werden, ich hatte nicht mal die Zeit, Fehler zu machen. Beim FC Bayern hat man dann versucht, mir Zeit zu geben. Dafür bin ich Uli Hoeneß sehr dankbar. Er hat bis zum Schluss an mich geglaubt, aber es ging einfach nicht mehr.«
Obwohl den FC Bayern seine Menschlichkeit in diesem Fall besonders viel kostete, bedauerte Hoeneß die Entscheidung nicht. »Nüchtern betrachtet, kann sich das auch ein Verein wie der FC Bayern kein zweites Mal erlauben«, meinte er etwas ratlos. Weniger nüchtern betrachtet allerdings würde er »es wieder so machen«. Einfach aus Prinzip. Keiner, der einmal in die »Familie Bayern« aufgenommen worden ist, soll fallen gelassen werden, unabhängig von der Prominenz des Spielers oder der Schlagzeilenträchtigkeit des Vorgangs. So war über den spektakulären »Fall Deisler«, der bundesweit ein riesiges Medieninteresse hervorgerufen hatte, eine andere soziale Neuverpflichtung des FC Bayern beinahe untergegangen. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte Uli Hoeneß den ehemaligen Bayern-Stürmer Jürgen »Kobra« Wegmann, der nach seinem Karriereende in die totale Verarmung abgerutscht war, zu den Bayern
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