Das Prinzip Uli Hoeneß
Paul Breitner, in München ein neues Real Madrid schaffen. Der Traum begann in den Jahren von 1974 bis 1977 zu keimen, als Breitner bei Real kickte. Hoeneß: »Real war das Nonplusultra, der Fußballklub schlechthin. Fünfmal hintereinander Europapokalsieger der Landesmeister. Die haben ganz in Weiß gespielt. Ohne irgendeinen Werbestreifen. Das war der Wahnsinn.«
Alle acht oder zehn Wochen flog Hoeneß nach Madrid, um sich mit Breitner in dessen Dienstvilla zu treffen und über die Zukunft des FC Bayern zu diskutieren. Es entstand der Traum von einem neuen Real in München, das wie sein Vorbild eine Institution werden sollte, die für andauernden Erfolg steht, aber auch unabhängig vom aktuellen Tabellenstand ihre Faszination behält. Als Breitner anfing, herrschte in Spanien noch der Diktator Franco. Der Verein stand zwar unter der Protektion des »Caudillo« (Führer), galt aber immer noch als eine »königliche« Institution und besaß auch außerhalb Spaniens aufgrund seiner sportlichen Erfolge und seiner Professionalität ein herausragendes Image. Real war praktisch der einzige geachtete Repräsentant des Landes, und genau deswegen wurden die Fußball-Aushängeschilder auf eine geradezu unvorstellbare Weise hofiert. »Wir hatten allein sechs Mannschaftsärzte, 20 Schreiner, 20 Gärtner, 600 Angestellte im Stadion«, schwärmte Breitner noch Jahre später voller Begeisterung.
Diese Professionalität, diesen Ruf, diese Grandezza und vor allem diesen Erfolg wollten die beiden nun nach München transportieren. Erstes Nahziel war, den Bereich Spielerbetreuung zu verbessern, in dem damals vergleichsweise vorsintflutliche Verhältnisse herrschten. Die medizinische Abteilung um den seit 1977 als Vereinsarzt tätigen Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt wurde gezielt ausgebaut, bis 1984 entstand an der Säbener Straße ein Fußball-Leistungszentrum, das kaum einen Vergleich zu scheuen brauchte – mit Kraftraum, Turnhalle, Entmüdungsbecken, Sauna, Physiotherapeuten und Betreuungsexperten aller Art. Nur mit der Modernisierung des Stadions mussten die Bayern-Macher noch warten und sich länger, als ihnen lieb war, mit dem auf Leichtathletik-zwecke ausgerichteten und rasch antiquiert gewordenen Olympiastadion begnügen. Zur ständigen Mahnung an das, was man eigentlich haben wollte, sollte bald ein Modell des Bernabéu-Stadions von Madrid am Ende des Flurs im Verwaltungstrakt an der Säbener Straße platziert werden, unmittelbar vor der Bürotür des Managers.
Die beiden Bayern-Häuptlinge, neben denen der neue Präsident Willi O. Hoffmann im Wesentlichen als Repräsentationsfigur amtierte, kümmerten sich nicht nur um eine Professionalisierung des sportlichen Rahmens, sondern auch um die Zuspitzung des Sieger-Images. Zum wohl typischsten Zeichen des arroganten Bayern-Auftritts wurden die Lederhosen. In der Version Breitners war die Idee bei einem Rückflug von einem Auswärtsspiel zu Beginn der Saison 1979/80 entstanden. Uli Hoeneß habe ihn, Breitner, gefragt: »Hörst du’s noch, diese Melodie?« Breitner: »Welche Melodie?« »Was die Leute im Stadion gesungen haben: ›Zieht den Bayern die Lederhosen aus‹.« Das Lied, gesungen nach der Melodie des Beatles-Songs »Yellow Submarine« aus dem Jahr 1968, war schon länger ein Schlager in den Bundesligastadien. Nach kurzer Überlegung fiel der Entschluss: »Genau, wir brauchen Lederhosen.« Den Schmähgesang durch selbstbewusste Provokation umzukehren, das war der Gedanke: Seht her, wir haben wirklich Lederhosen an – aber keiner zieht sie uns aus. »Vier Wochen später«, so Breitner, »hatten wir maßgefertigte Lederhosen und haben Platzbesichtigung gemacht.« Es war im Düsseldorfer Rheinstadion am 1. Dezember 1979. »Das Publikum wurde verrückt, ein Riesen-PR-Gag«, so Breitner. Die Lederhosen-Bayern gewannen nach der Präsentation locker mit 3:0. Heute ist die Lederhose für die Bayern ein nicht mehr wegzudenkendes Markenzeichen, alle neuen Spieler erhalten eine und müssen sie beim traditionellen Besuch auf dem Oktoberfest auch tragen.
Es dauerte nicht lange, bis aus diesem Real in Lederhosen eine Qualitätsmarke geworden war: eine Mischung aus bajuwarischer »Mia san mia«-Attitüde, dem Ehrgeiz kleinbürgerlicher Aufsteiger, rationalem Management und der kühlen Beherrschung kapitalistischer Marktgesetze. Den weitaus größeren Teil dieses Weges legte Uli Hoeneß ohne den bereits 1983 ausgeschiedenen Paul Breitner zurück. Auf diesem Weg schuf er
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